Würzburger Quantenphysik- Konzept

G93 Ist die schulische "Modellphilosophie" zur Quantenphysik haltbar?

Schrödinger- Gleichung

 Teilchen-Zustände

Lehrtext/Inhalt

Glossar  wissenschaftliche Experimente

Im- pres- sum

Dieser Artikel richtet sich an Lehrer, nicht an Schüler.

Der "Modellphilosophie" (MP), wie sie an der Schule praktiziert wird, geht es letztendlich um die Diskussion, ob Elektronen oder andere Mikroteilchen Wellen oder Teilchen sind. Kurz gesagt behauptet die "Modellphilosophie" der Quantenphysik in der Schule, dass Mikroteilchen weder (klassische) Wellen noch (klassische) Teilchen seien, dass Aussagen über sie nur mit Hilfe von Modellen möglich seien. Bei bestimmten Experimenten sei das Wellenmodell passender bzw. zweckmäßiger, bei anderen das Teilchenmodell. Manchmal wird sogar behauptet, im einen Fall müsse man das Wellenmodell anwenden, im anderen Fall das Teilchenmodell. Dabei sind immer Modelle im Sinne von klassischen Wellen oder klassischen Teilchen gemeint.

Die Grundidee, dass die Realität nur durch Bilder, Modelle von ihr beschrieben werden kann, ist im Prinzip richtig, sollte aber korrekt angewandt werden. Zeilinger schrieb einmal sinngemäß: "Science does not tell us how nature is, but what we can say about nature."

U.a. kennt man  in diesem Zusammenhang unterschiedliche Arten von Modellen:

Wissenschaftliches Modell

Dabei handelt es sich um ein umfassenderes weitgehend anerkanntes Bild der Natur, das in keinem bisher bekanntem Punkt in Widerspruch zu Beobachtungen steht.

Beispiele:

Elektrodynamik,

Quantentheorie

Die Elektrodynamik oder die Quantentheorie stellen solche wissenschaftlichen Modelle von Teilbereichen der Natur dar: in sich geschlossene Theorien, die derzeit als richtige Beschreibung der Natur gelten, aber nicht die Natur selbst sind. Nur bei seltenen fundamentalen Neuentdeckungen, die häufig zu einem Paradigmenwechsel führten, bestand in der Vergangenheit Anlass, die Theorie (das Modell) so zu erweitern, dass die alte Theorie in eine neue eingebettet erscheint.

Arbeitsmodell

Es stellt ein Vehikel zur Erkenntnisgewinnung dar, damit also eine Zwischenstufe.

Beispiel:

Bewegung eines Massenpunktes

Ein Beispiel ist die Bewegung eines Massenpunktes: Ein solches Modell stellt häufig eine bewusste Vereinfachung gegenüber der Realität dar mit dem Ziel, allein die für die angestrebte Fragestellung notwendigen Eigenschaften zu erfassen. In anderen Fällen wird es bewusst als vorläufiger Zwischenschritt eingesetzt, weil man zum Beispiel im Augenblick nichts besseres machen kann. In einer bestimmten Phase der wissenschaftlichen Entwicklung sind solche Arbeitsmodelle notwendig. Sie können bei Bedarf / jederzeit erweitert werden (z.B. zum ausgedehnten Körper, auf den Drehmomente wirken); es ist auch klar, dass das Arbeitsmodell bei höheren überschaubaren Anforderungen erweitert werden muss.

  • punktförmige Masse => Vernachlässigung von Drehungen
  • nur Kräfte, keine Drehmomente
  • Art der Kräfte eingeschränkt, z.B. wird die Reibungskraft außer Acht gelassen.

Didaktisches Modell

Es versucht, dem Nichtfachmann Vorstellungen zu vermitteln, die sein "Verständnis" unterstützen. Manches didaktische Modell wird auch gegenüber Fachleuten wiederum als Modell von wissenschaftlichen Vorstellungen (Modell vom Modell) eingesetzt, wenn klar ist, was damit in Wirklichkeit gemeint ist, sozusagen als stenographisches Kürzel für komplexere Situationen. Didaktische Modelle entfernen sich im Dienste einer "Verständlichkeit" oder Knappheit der Formulierung (als Metapher) oft von wissenschaftlichen Beschreibungen.

Beispiel:

Wellenmodell eines Elektrons:

Wenn es so verstanden wird, dass es sich um eine Welle im Anschauungsraum handelt, steht es sicher nicht im Einklang mit der wissenschaftlich anerkannten Quantentheorie. Wellenfunktionen agieren nicht im Anschauungsraum, wie etwa Schallwellen oder klassische elektromagnetische Wellen, sondern nur in einem abstrakten Konfigurationsraum, der nur bei einem Teilchen (ohne Spin) auch dreidimensional ist wie der Anschauungsraum. Sie sind nur zuständig für die Vorhersage von zukünftigen Messergebnissen von Quantenobjekten/Quantenteilchen. Aber manche Beobachtungen lassen sich vordergründig und weitgehend nur mit Worten mit einem solchen Modell plausibel machen, obwohl es versucht, auf eine falsch gestellte Frage eine Antwort zu geben.

Nach der Entdeckung der deBroglie-Wellen (1923) bzw. der Schrödinger-Gleichung (1926) bis zur Etablierung der Quantenphysik war das Wellenmodell von Elektronen ein sinnvolles Arbeitsmodell, mit dem als Hypothese weitere Eigenschaften der Quantenphysik untersucht wurden. Es wurde wohl eine Zeitlang auch als wissenschaftliches Modell angesehen. Nach Etablierung der Quantenphysik Anfang der 30-er Jahre verlor es die Funktion als Arbeits- und wissenschaftliches Modell, überlebte aber als didaktisches Modell in populärwissenschaftlichen Darstellungen und in der Schule ("auf dem Weg zur Quantenphysik"). Als wissenschaftliches Modell hatte es sich als untauglich erwiesen. Nach Etablierung der Quantenphysik geht es in ihr nicht mehr um die Frage "Ist ein Elektron ein Teilchen oder eine Welle". (Es ist ein Quantenteilchen. Es ist mit Sicherheit kein klassisches Teilchen und mit Sicherheit keine Welle.)

Konkrete Modelle sind z.B. das Funktionsmodell eines Wankelmotors, ein Modellkristall zur Veranschaulichung der Raumgitterinterferenzen, ein Satz von regelmäßig angeordneten Glaskugeln als Modell für einen Festkörper.

Also: Die "Modellphilosophie" argumentiert mit didaktischen Modellen zugunsten einer erwarteten oder vielfach geforderten Anschaulichkeit. Sie stellt somit selbst ein didaktisches Modell des wissenschaftlichen Modells der Quantenphysik dar.

Wo widersprechen sich "Modellphilosophie" und Quantentheorie?

1. Richtig ist: Das Elektron ist Träger einiger unveränderlicher Eigenschaften wie Ruhemasse, Spin, elektrische Ladung. Ebenso ist ein Photon Träger einiger fester Eigenschaften wie verschwindende Ruhemasse, fehlende elektrische Ladung, ganzzahliger Spin. Aber: Wie andere Quantenteilchen sind sie abzählbar und unterscheiden sich auch damit von Wellen (Vgl. quantenphysikalischer Teilchenbegriff). Sie sind niemals Wellen oder Wellenpakete.

2. Räume: Die Wellen der Quantentheorie (Wellenfunktionen) agieren in anderen Räumen als dem Anschauungsraum, sie operieren in abstrakten Konfigurationsräumen.

Wie schon Born (1926) gefunden hat, sind die "Wellen" der Quantenphysik (Wellenfunktionen) nur für Wahrscheinlichkeitsfragen zuständig. Sie haben nichts zu tun mit der räumlichen Verteilung von irgendetwas Materiellem. Sie beschreiben nicht das "Wesen" von Elektronen oder Photonen. Die Born'sche Wahrscheinlichkeitsdeutung wird im Rahmen der MP i.A. auch richtig dargestellt.

3. Für Mehrteilchenzustände passt das Wellenmodell im Anschauungsraum gar nicht.

Beispiele:

a) Die Elektronenhülle eines Mehrelektronenatoms wird durch eine Wellenfunktion beschrieben in einem vieldimensionalen abstrakten Konfigurationsraum. Erst bei der Messung des Ortes von einem (beliebigen) Elektron reduziert sich dieser Raum - für Wahrscheinlichkeitsvorhersagen - auf einen dreidimensionalen. Es wird gefragt, mit welcher Wahrscheinlichkeit werde ich in der Nähe eines bestimmten Ortes (irgend) ein Elektron nachweisen können? (Über die Koordinaten aller übrigen Elektronen wird dann mathematisch integriert) Man kann aber auch die Frage stellen "Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit ein Elektron in der Umgebung der Stelle x1 und ein zweites an der Stelle x2 zu finden. Dann braucht man schon einen 2 x 3 - dimensionalen Konfigurationsraum etc.

Bei n Elektronen im Atom ist die vollständige zugehörige Wellenfunktion eine n x 3-dimensionale. Erst bei einer konkreten Messung von Eigenschaften eines Teilchens wird sie mathematisch reduziert zu einer dreidimensionalen. Die Elektronenhülle ist also ein Quantenobjekt aus n Elektronen, in dem es keine individuellen Elektronen mit be-stimmten Eigenschaften gibt. Das wird auch durch das "Elektronium"-Modell richtig wiedergegeben. Aber bei einer konkreten Messung der Elektronenzahl würde man (im Prinzip) immer n erhalten. Weil der mathematische Aufwand andernfalls zu groß wäre, verwendet man Näherungsmethoden (Näherungsmodelle), z.B. (in der Chemie und auf Schulniveau) das Schalenmodell, bei denen man diesen Gesichtspunkt in häufig brauchbarer Näherung außer Acht lassen kann.

b) Teilchenzwillinge (Photonenzwillinge oder Biphotonen sind dabei besonders untersucht worden) sind eigene Zustände. Sie bestehen nicht aus zwei individuellen Photonen und verhalten sich ganz anders als zwei einzelne Photonen. Für sie ist kein Wellenmodell im dreidimensionalen Anschauungsraum passend, obwohl man mit ihnen Interferenzversuche durchführen kann (Zweiteilchen-Interferenz im Unterschied zur Einteilchen-Interferenz mit einzelnen Elektronen oder Photonen).

4. Reine Wellenfunktionen sind nur zuständig für Messungen an einem Quantenobjekt mit einer be-stimmten Anzahl von Quantenteilchen, nicht für Quantenobjekte (Zustände) mit einer un-be-stimmten Teilchenzahl. Also: Die Schrödingergleichung für den dreidimensionalen Konfigurationsraum ist eine Gleichung für wahrscheinliche Messergebnisse an genau einem Teilchen in einem bestimmten Zustand. Zustände  mit un-be-stimmter Teilchenzahl braucht man aber zur quantenmechanischen Beschreibung von klassischen elektromagnetischen Wellen (kohärente Photonen) oder Gitterschwingungen in Festkörpern (kohärente Phononen).

4. Vertreter der MP behaupten, beim Doppelspalt-Versuch müsse - andere sagen könne - wegen der Interferenz das Wellenmodell (im Anschauungsraum) angewendet werden. Verschließt man einen der beiden Spalte, so verschwindet die Doppelspalt-Interferenz. Jetzt könne das Teilchenmodell angewandt werden, sagen manche Vertreter der MP. Tatsächlich widerspricht dem die jetzt entstehende Interferenzfigur vom Einfachspalt. Die Anwendungsbereiche von einem Wellenmodell und einem Teilchenmodell für Quantenteilchen sind nicht scharf getrennt. Auch Gitterbeugung lässt sich - wenn man allgemeine Prinzipien wie Symmetrie hinzunimmt - mit einem Teilchenmodell beschreiben. In modernen Versuchen wird selbst mit einzelnen Quantenteilchen (immer nur ein Teilchen in der Apparatur) Interferenz erreicht (Einteilchen-Interferenz), die allerdings erst nach einer großen Zahl solcher Versuche erkennbar wird (vgl. G-R-A-Versuche).

Ob ein Experiment im Sinne eines Teilchenmodells oder eines Wellenmodells ausgewertet wird, lässt sich in manchen Fällen erst nachträglich, evtl. lange nach Ablauf des Experiments, entscheiden. (Versuche mit "Verzögerter Entscheidung"). Das zeigt, dass sich hier zwar eine typische Eigenschaft der Mikrophysik, nicht aber ein Wellen- oder Teilchencharakter verbirgt, sondern eher eine Entscheidung des Experimentators. Hier steht die MP auf der richtigen Seite: Aus welchen Gründen auch immer, einmal ist ein Wellenmodell passender, das andere Mal ein Teilchenmodell.

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Dennoch wird wohl mit einem gewissen Recht im Bereich der Schule diskutiert, ob der Wunsch nach Anschaulichkeit nicht didaktische Modelle, wie das Wellenmodell oder das "Elektroniummodell" für die Elektronenhülle eines Atoms erfordert. Dürfen Lehrer "lügen", weil Anschaulichkeit erwartet wird im Zusammenhang mit Dingen, die prinzipiell unanschaulich sind? Manche Aussagen der Quantenphysik müssen unanschaulich sein, weil wir im mikroskopischen Bereich nun mal keinerlei "Erfahrungen" haben. Es gibt keinen Grund, weshalb makroskopische Erfahrungen auch in der Mikrophysik gültig sein sollten.

Ich persönlich würde im Bereich der Quantenphysik lieber auf ein solches didaktisches Modell verzichten und stattdessen Un-be-stimmtheit und Komplementarität in den Vordergrund stellen und so vermitteln, welche Aussagen in der QM aus der klassischen Physik übernommen, und welche nicht übernommen werden können, über welche dann auch höchstens Wahrscheinlichkeitsaussagen über den Ausgang von Messungen mitgeteilt werden können. Dem versucht das "Würzburger Quantenphysik-Konzept" gerecht zu werden.

M.E. handelt es sich bei der "Modell-Philosophie" der Quantenphysik in der Schule um eine historisch bedingte Vorstufe zur heutigen Quantenphysik ("Auf dem Weg zur Quantenphysik") und ein lediglich didaktisches Modell von dem wissenschaftlichen Modell der Quantenphysik. Aber die MP wird (m.E.) leider auch heute noch selbst von Wissenschaftlern für populärwissenschaftliche Diskussionen verwendet.

(zuletzt aktualisiert 2012)