Der logische Gehalt der Newtonschen Gesetze der
Mechanik |
1. Das 1. NG ist eine qualitative Definition dessen,
was man als Kraft verstehen will, nämlich "Kraft soll die Ursache
einer Bewegungsänderung sein". Wenn man das 1. NG nicht so auffassen
möchte, gerät man in das Problem, dass es sonst scheinbar eine
Tautologie wäre: "Eine Kraft liegt vor, wenn eine Kraft vorliegt". Die
Definition durch das 1. NG bewährte sich gegenüber der Aristotelischen
Definition ("Kraft soll die Ursache für eine Bewegung sein") und erlaubte
den Fortschritt durch Newton.
Es kann in diesem Zusammenhang sinnvoll sein, zwischen einem
Trägheitsprinzip und dem Trägheits"gesetz" von Newton
zu unterscheiden.
Nach dem naturgesetzlichen Trägheitsprinzip ist
jeder Körper mit Masse träge, d.h. er versucht stets seinen
Bewegungszustand beizubehalten. Das steckt eigentlich nur sehr indirekt
im 1. NG.
Nach dem Trägheitsgesetz gelingt ihm das (seinen
Bewegungszustand beizubehalten) nur, wenn keine Kraft wirkt. Die hier über
die Definition hinausgehende physikalische Aussage, also das
Trägheitsprinzip, steckt eigentlich auch im 2. NG.
2. Das 2. NG und das 3. NG zusammen ermöglichen einerseits
die Definition von Masse und Kraft, andererseits enthalten sie auch
gesetzmäßige Aussagen, nämlich zur
Kausalität und zum Auftreten von Kräften.
3. Das 3. NG ermöglicht den Massenvergleich (träge
Masse) durch Beschleunigungsmessungen wegen m1·a1 =
- m2·a2 bzw. m1 = -
m2·a2 /a1 und erlaubt zusammen mit
der Definition des Urkilogramms (Masseneinheit) die allgemeine Definition
der Masse. Es enthält weiter die Gesetzmäßigkeit,
dass Kräfte (in Inertialsystemen, bei Fehlen externer Kräfte, wenn
nur Zentralkräfte vorliegen) stets paarweise auftreten und entgegengesetzt
gleich sind. Von den beiden Kräften, (Aktions-)Kraft und
Reaktionskraft, ist keine die Ursache der anderen; sie treten immer
gleichzeitig und gleichberechtigt auf. Insofern zeigt das 3. NG auf, was
für ein eigenartiger Begriff eine Kraft ist.
4. Mit der nun definierten (trägen) Masse kann mittels
des 2. NG auch eine Kraft definiert werden. Darüberhinaus*) macht dieses 2. NG (wenn die Kraft einmal definiert ist) die gesetzmäßige Aussage, wie Ursache (F) und Wirkung (a) bei beliebigen Massen
miteinander zusammenhängen.
Nach dem 2. NG hat jede Kraft F eine Beschleunigung a zur Folge,
die sich aus F = m·a ergibt. Das ist aber gerade die
Kausalität, m.E. wichtigster Inhalt der Newtonschen Gesetze.
Sie besagt:
Aus bekannten Anfangsbedingungen
x0 und v0 ergibt sich
-
bei einer eindeutigen Ursache (Kraft F)
-
eine eindeutige Wirkung (a = F/m, v, x)
|
5. Ein Fallversuch mit dem Ergebnis a = g zeigt, dass in
mt·a = ms·g auch mt = ms
gelten muss (Gleichheit von träger und schwerer Masse).
6. Wegen der Kausalität nenne ich das 2. NG häufig
das "Prophetie-Gesetz der Mechanik", weil es erlaubt, bei bekannten
Anfangsbedingungen und bekannter Kraft eine Bewegung für alle
Zukunft vorherzusagen (wenigstens im Prinzip).
Die Begriffe Kausalität, determiniert oder indeterminiert,
Laplacescher Dämon etc. gehören nach meiner Auffassung zur
Verknüpfung des Faches Physik mit anderen, besonders weltanschaulichen
Fächern dazu.
Innerhalb der Physik gibt es ja auch
Einschränkungen zur
Kausalität:
(1) In der Quantenphysik ist es prinzipiell nicht
möglich, Ort und Geschwindigkeit von einem Teilchen zu irgendeinem Zeitpunkt
exakt zu bestimmen (wenn man etwa im Teilchenbild arbeitet). Nach der
Heisenbergschen Unschärferelation gibt es hier Einschränkungen,
weil die Objekte der Quantenphysik eben keine (klassischen) Teilchen sind,
schärfer, weil es in der Mikrophysik keine Objekte gibt, die gleichzeitig
Ort und Geschwindigkeit (Impuls) als Eigenschaften besitzen (vgl.
"Grundfakten der Quantenphysik"). Deshalb
ist der Begriff der Kausalität für Mikroobjekte nicht
anwendbar. Die "eigentlichen physikalischen Gegenstände" (z.B. die
Wellenfunktion) verhalten sich jedoch kausal bzw. determiniert, wenigstens
solange keine weitere Messung durchgeführt wird. Weil Kausalität
für Mikroteilchen nicht angewendet werden kann, hat es keinen Sinn zu
erwarten, dass Teilchen sich im Bereich der Atom- oder Kernphysik determiniert
oder kausal verhalten. Zukünftiges "Verhalten" lässt sich hier
nur im Rahmen von Wahrscheinlichkeiten für Messergebnisse
vorhersagen.
(2) Bei makroskopischen Systemen ist es aus praktischen
Gründen nicht möglich, die Anfangsbedingungen aller seiner
Teile zu irgendeinem Zeitpunkt zu bestimmen. Es gibt keine Chance, bei einem
Gas etwa von 1023 darin enthaltenen Teilchen Ort und Geschwindigkeit
zu ermitteln, wie das nur ein hypothetischer "Laplacescher Dämon"
können sollte. Auch hier ist Kausalität nicht anwendbar. Die
Thermodynamik und Statistische Mechanik liefern aber immerhin noch Methoden,
mit denen man makroskopische Mittelwerte wie Druck, Temperatur oder Entropie
in der Zukunft voraussagen kann.
(3) Ebenfalls aus praktischen Gründen ist es
häufig wegen einer stets endlichen Messgenauigkeit nicht möglich,
Ort und Geschwindigkeit eines Körpers exakt zu bestimmen. Während
in den Systemen, die in der klassischen Physik üblicherweise betrachtet
werden, kleine Abweichungen in den Anfangsbedingungen nur zu kleinen Abweichungen
in den Wirkungen führen, was eine hinreichend gute Vorhersagbarkeit
ermöglicht, werden in der Chaostheorie Systeme betrachtet, bei
denen kleine Abweichungen in den Anfangsbedingungen zu stark abweichenden
Wirkungen führen. In solchen Fällen verhalten sich die Systeme
zwar noch determiniert, aber aus praktischen Gründen ist eine
Vorhersage der Zukunft nicht mehr möglich. So lässt sich
zwar mit Methoden der numerischen Mathematik (PC) der Lauf von zwei Planeten,
die Gravitationskräfte auch aufeinander ausüben, um die Sonne zwar
beliebig "genau" berechnen, scheinbar sogar für alle Zukunft. Was aber
die Rechenergebnisse mit der Realität zu tun haben, ist völlig
ungewiss, die ja die gemessenen Anfangsbedingungen, die auch in die Rechnung
eingehen, in der Regel geringfügig von den wirklichen abweichen, ganz
abgesehen von evtl. geringen Einflüssen, die gar nicht berücksichtigt
wurden. Es werden Beispiele diskutiert, wo gerade solchen geringfügigen
Einflüsse verheerende Folgen haben, etwa der Flügelschlag eines
Schmetterlings in Kanada auf das Wettergeschehen in Europa. Ähnliches
gilt für ein Doppelpendel, anharmonische Oszillatoren oder eben das
Wettergeschehen (vgl. die vielen Beispiele der "Chaostheorie").
"Vorhersagbarkeit = Vorherberechenbarkeit + Übereinstimmung der
Vorhersage mit der Realität"
In der Quantenphysik fehlt prinzipiell die Vorherberechenbarkeit von
Mikroteilchen, weil diese nie alle klassisch denkbaren Eigenschaften gleichzeitig
besitzen.
In makroskopischen Systemen fehlt die Vorherberechenbarkeit auf
mikroskopischer Ebene, weil die Anfangsbedingungen aller beitragenden Teilchen
wegen ihrer großen Zahl aus praktischen Gründen nicht ermittelt
werden können.
Chaotische Systeme lassen sich zwar vorherberechnen. Was die Rechnung
aber mit der Realität zu tun hat, ist offen, da die Anfangsbedingungen
aus praktischen Gründen nie exakt ermittelt werden können. |
Hinweis:
Einige Didaktiker scheinen zu behaupten, dass das 2. Newton'sche Gesetz ausschließlich eine Definitionsgleichung für F sei. Richtig ist: Durch m und a wird eine Kraft F definiert. Doch sobald diese einmal definiert ist, z.B. die Kraft, die über eine hängende Antriebsmasse M einen Gleiter auf der Fahrbahn beschleunigt, ist eine weitere Definition überflüssig.Vielmehr sagt dann das 2. Newton'sche Gesetz bei z.B. unveränderter Kraft gesetzmäßig aus, welche Beschleunigung sich bei einer jeweils unterschiedlichen Masse ergibt/ergeben wird. Der Fehler in der erwähnten Argumentation liegt darin, dass F, m und a nicht Platzhalter für bestimmte eindeutige, aber noch unbekannte Werte sind, wie etwa bei einem linearen Gleichungssystem in der Algebra, sondern Größen, die miteinander in Relation stehen, also gesetzmäßig beliebig viele Werte von F, m und a miteinander verknüpfen.