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Der einfachste Elektromotor
der Welt - wie funktioniert er wirklich? Wie wird der Unipolarmotor erklärt ? |
Eine Analyse |
Z.B. H.J. Schlichting und C. Ucke oder Wong zeigen, wie der Motor aus einem zylinderförmigen Neodym-Magneten, einer Monozelle, einer Schraube und einem Stückchen Draht aufgebaut ist.
Von Schlichting und Ucke stammen zwei Erklärungen. Danach solle ein zunächst radialer Strom durch einen senkrecht dazu magnetisierten zylinderförmigen Magneten fließen. Es entstehe eine Lorentz-Kraft auf die frei beweglichen Elektronen im Magneten senkrecht zu Strom und Magnetfeld. Nach der älteren Version (in deutscher Sprache; SU_alt) tritt entgegengesetzt dazu eine Gegenkraft auf (auf den Magneten? also mehr oder weniger entgegengesetzt zur Lorentz-Kraft im Inneren?), die zu einem Drehmoment führe. In der neueren englischen Version (SU_neu) heißt es dagegen nur vage, dass die Lorentz-Kraft in ein Drehmoment "übersetzt" werde, das zu einer Rotation des Magneten im Laborsystem führe. Man könnte dieser Variante unterstellen, dass die Drehrichtung danach entgegengesetzt zur ersten verläuft, also mehr oder weniger in Richtung der Lorentz-Kraft im Inneren. So steht es allerdings dort nicht.
1. In der neueren (englischen) Variante bleibt offen, wie die frei beweglichen Elektronen im Magneten diesen "mitreißen" können. Man könnte denken, dass zunächst die Elektronen im Zylinder einfach abgelenkt werden. Hier fehlt offenbar etwas.
2. Ein anderer Einwand vermisst die Anwendung des 3. Newton'schen Gesetzes. So behauptet Wong, dass zur Lorentz-Kraft auf Elektronen im Feld innerhalb des Magneten wie in der deutschen Variante von Schlichting/Ucke eine entgegengesetzte Reaktionskraft auf den Magneten existiere. Beide sollten nach Wong aber keine kontinuierliche Rotation bewirken, weil es sich in beiden Fällen um "innere" Kräfte im Magneten handle. Beide Kräfte werden also nicht weiter beachtet. Wong weist andererseits darauf hin, dass außerhalb des Magneten ebenfalls ein starkes (weitgehend entgegengesetztes) Magnetfeld herrscht, das auf die durchquerenden Elektronen Kräfte ausübt, die zu den Lorentz-Kräften im Inneren entgegengesetzt sind. Für ihn ist die Reaktionskraft dazu die Ursache für die Rotation des Magneten (also mehr oder weniger gleichgerichtete zu den Lorentz-Kräften im Inneren, in der Konsequenz wie bei SU_neu).
Schlichting/Ucke (ältere Version): "Dabei wird eine Lorentz-Kraft auf den Strom ausgeuübt, die idealerweise zu einer Ablenkung senkrecht zur Strom- und zur Feldlinienrichtung des Magneten führt. Die Richtung findet man mit Hilfe der Fingerregel der rechten Hand heraus. Als Reaktion auf die Ablenkung des Stromes tritt eine Gegenkraft auf. Die fuührt zu einem Drehmoment, das den Zylindermagneten in Rotation versetzt. Die Symmetrie der Konstellation wird dadurch nicht verändert, so dass die Bedingungen für eine kontinuierliche Bewegung, die Rotation, erhalten bleiben."
(Die Drehung erfolge also mehr oder weniger entgegengesetzt zur Lorentz-Kraft auf Elektronen im Inneren des Magneten.)
Schlichting/Ucke (neuere Version): "A Lorentz force is created which is at right angles to the current and direction of the field from the magnet. The direction of the force is given by the Right Hand Rule. The force on the current translates into a torque which sets the cylinder magnet into rotation. The symmetrie of the assembly is not affected by the rotation so a continuous rotation results."
Man könnte hier herauslesen, dass die Drehung hier mehr oder weniger in Richtung der Lorentz-Kraft auf die Elektronen im Inneren des Magneten erfolge.)
So berücksichtigen die Konzepte von Wong und von Schlichting/Ucke,
letzteres wenigstens in der älteren Version, Reaktionskräfte zu
Lorentz-Kräften. Nach Schlichting/Ucke soll nur die Lorentz-Kraft im
Magneten, nach Wong nur die Lorentz-Kraft außerhalb des Magneten
für die Rotation verantwortlich sein. Dementsprechend wäre auch die
Drehrichtung unterschiedlich. Es wird dabei angenommen, dass die
Reaktionskräfte zu den Kräften auf die Elektronen unmittelbar auf die
magnetischen Momente erfolge ohne Berücksichtigung des magnetischen
Feldes.
Von der Universität Ulm gibt es eine (nur hier so genannte) "Ulmer Erklärung": "Durch die Lorentzkraft werden die radial nach außen fließenden Elektronen im Magneten abgelenkt. Durch einen Impulsübertrag der Elektronen mit den Gitteratomen kommt es zu einem resultierenden Drehmoment des Drehankers."
Auch hier erfolge also die Drehung in Richtung der Ablenkung der Elektronen, also der Lorentz-Kraft, im Inneren.
Thesen
1. Es handelt sich um ein zylindersymmetrisches Problem. Deshalb ist es abwegig, Impulserhaltung bzw. das 3. Newton-Gesetz ins Spiel zu bringen. Dagegen muss Drehimpulserhaltung bzw. das dem 3. NG entsprechende Gesetz von Drehmoment und gegengleichem Reaktionsdrehmoment gelten. Kräfte können dagegen nützlich sein zur Konstruktion der Drehmomente.
2. Es wird in der Literatur pauschal damit argumentiert, dass "innere" Kräfte keine dauernde Bewegung verursachen könnten. Das ist richtig. Aber was sind "innere" Kräfte? Sie haben m.E. nichts mit drinnen und draußen zu tun, sondern damit, dass ein System in zwei Teilsysteme zerlegt werden kann, die Wechselwirkungskräfte aufeinander ausüben.
3. So ist das 3. NG eine Folge der Impulserhaltung bei zwei wechselwirkenden Systemen; ganz entsprechend wirkt sich eine Drehimpulserhaltung aus. Die wichtigsten beteiligten Systempaare sind Leitungselektronen/Magnetfeld im Inneren, Leitungselektronen/Magnetfeld außerhalb, Leitungselektronen im Inneren/Gefüge des Magneten, in dem die magnetischen Momente lokalisiert sind, die das Magnetfeld erzeugen. Bei der Wechselwirkung von Leitungselektronen und Magnetfeld scheint mir Drehimpuls-Erhaltung plausibel, aber eine "Wechselwirkungskraft auf das Magnetfeld" schwer vorstellbar. In den meisten Erklärungen bleibt offen, wie eine zwar plausible Rückwirkung der Lorentz-Kraft auf das Magnetfeld zu einer Rückwirkung auf die felderzeugenden magnetischen Momente führt.
4. Es darf nicht pauschal von "der Lorentz-Kraft" oder anderen Kräften geredet werden. Es ist vielmehr sorgfältig darauf zu achten, auf welchen Körper die Kräfte wirken. So ist zwar in der einschlägigen Literatur immer von einer Lorentz-Kraft die Rede, aber diese wirkt allein auf ein Elektron. Auf welches? Wo? Tatsächlich ist die Lorentz-Kraft bei einem ortsabhängigen Magnetfeld von der Position des Elektrons abhängig. Je nach deren Größe ergeben sich unterschiedliche (Einzel-)Drehmomente, die in recht komplizierter Weise ein Gesamtdrehmoment und evtl. ein Reaktionsdrehmoment bestimmen.
5. Um das Reaktionsdrehmoment in den Griff zu bekommen, muss man die Ortsabhängigkeit des Magnetfelds und damit der Lorentz-Kraft kennen. Die vielen (Einzel-)Drehmomente summieren sich zum Gesamtdrehmoment.
Ein Modell für den Zylindermagneten
Innerhalb des Radius R soll die magnetische Flussdichte konstant B0 sein. Daraus ergibt sich ein magnetischer Fluss Φ im Zylindermagneten:
Φ = B0 · R2·π
Dieser Fluss muss mit umgekehrter Richtung außen am Magneten zurück strömen. Dort herrscht die ortsabhängige magnetische Flussdichte B(r), und es gilt aus Symmetriegründen, etwa in der Äquatorebene, in der die Stromzuführung liegt:
Φ = - ∫ B(r)·2·r·π·dr in den Grenzen von R bis ∞
Der Ansatz B(r) = - B0·R4·r-4 für die Äquatorebene erfüllt die Bedingung der Flusserhaltung. Für das Folgende nehmen wir diese Ortsabhängigkeit der magnetischen Flussdichte außerhalb des Zylindermagneten für r >= R. Die Flusserhaltung lässt sich aber auch für andere Potenzen oder gar andere Funktionen erfüllen.
Ein Elektron auf dem Weg durch das Magnetfeld eines drehbaren Zylindermagneten
Verfolgen wir nun den Weg eines Elektrons vom Minuspol der Stromzuführung
durch den Magneten zum Pluspol. Wir gehen davon aus, dass während des
gesamten Wegs durch das Magnetfeld die radiale Komponente der
Geschwindigkeit v (zwischen Stromzuführung und Achse) konstant ist. Das
ist z.B. nicht mehr der Fall, wenn der Zylindermagnet durch einen
nicht magnetischen Leiterring umgeben ist. In der Stromzuführung
durchläuft das Elektron unterschiedliche B-Felder. Je nachdem
variiert die Lorentz-Kraft auf das Elektron. Bezogen auf den
Zylindermittelpunkt führt sie zu unterschiedlichen Drehmomenten. Aus D
= r x FL mit dem Betrag D = -r·e·v·B(r) = e·v·B0
· R4 · r-3 folgt, weil sich r
und B(r) ändern, eine lokale Drehmoment-Änderungsrate (Drehimpuls) L
= dD/dt = -3·e·v·B0· R4 · r-4 · v
= - 3·e·v2·B0 · R4 · r-4
(Faktor v = dr/dt vom Nachdifferenzieren). Die gesamte
Drehmoment-Änderung ΔD1 für den Weg durch das äußere
Magnetfeld ist also
ΔD1 = ∫ (dD/dt) dt = - 3·e·v·B0· R4·∫ r-4 vdt = - 3e·v·B0 · R4 ·∫ r-4 dr = - 3·e·v·B0· R4 ·1/(-3) [r-3] (jeweils in den Grenzen von ∞ bis R bzw. mit den entsprechenden Zeiten)
also ΔD1 = e·v·B0 · R4 · R-3 = e·v·B0·R, so als würde nur an der Stelle r = R, also außerhalb am Rand des Magneten die Lorentz-Kraft e·v·B0 angreifen.
Auf dem Weg innerhalb des Magneten (r >= R) gilt D = r·e·v·B0 mit der konstanten Drehmoment-Änderungsrate dD/dt = e·v2·B0 . Es entsteht eine totale Drehmoment-Änderung ΔD2 = e·v·B0·R , natürlich auch rechnerisch:
ΔD2 = ∫ (dD/dt) dt = e·v2·B0 T = e·v·B0·R, weil die Durchlaufszeit T = R/v ist (auch hier in den Grenzen von ∞ bis R) .
Im Laufe seines Weges durch das Magnetfeld erfährt ein Elektron also unterschiedliche Drehmomente, die sich in der Summe gegenseitig aufheben.
Wäre das nicht der Fall, würde kurioserweise nach der Argumentation mancher Autoren, die die Reaktionsmomente ins Spiel bringen möchten, die Drehrichtung evtl. davon abhängen, welches der beiden Drehmomente (innerhalb und außerhalb des Magneten) überwiegt. Weil dies hier nicht gilt, halte ich den Ansatz für B(r) für geeignet.
Weil ein Elektron insgesamt keine Drehmoment-Änderung erfährt, ist damit also auch kein Reaktionsdrehmoment auf das Magnetfeld verbunden. Ein Reaktionsdrehmoment kann also nicht die Ursache für die Rotation des Magneten sein.
Was dann also? Außerhalb des Magneten entstehen auf das durchlaufende Elektronen Lorentz-Kräfte. Sie werden aufgefangen durch Gegenkräfte in der Stromzuführung, die zu Kräftegleichgewicht führen, also auch keine weitere Wirkung haben.
Es verbleiben doch nur die Lorentz-Kräfte auf die den Magneten durchlaufenden Elektronen im Inneren des Magneten? Da sie auf die Elektronen wirken, können auch sie nicht den Magneten in Rotation versetzen. Aber sie können die Elektronen innerhalb des Magneten in ihre Richtung verschieben. Dabei entstehen "Reibungskräfte" zwischen den verschobenen Elektronen und dem Gefüge des Magneten (dem Träger der magnetischen Momente). Die Reaktionskraft zu ihnen greift an diesen an. Der Magnet wird sozusagen durch die im Magnet längs der Lorentz-Kraft bewegten Elektronen mitgerissen. In der "Ulmer Erklärung" wird gleichwertig von Impulsüberträgen an das Gefüge durch die von der Lorentz-Kraft beschleunigten Elektronen gesprochen.
Es ist dieser Mitnahmeeffekt, der den Magneten in Rotation versetzt.
Das gilt für den ersten Moment, wenn sich der Magnet in Bewegung setzt. Wenn er in Bewegung ist, muss man mit dem Auftreten von relativistischen Effekten rechnen, selbst bei Geschwindigkeiten, die weit entfernt von der Lichtgeschwindigkeit sind (siehe Unipolarinduktion; Hering'sches Paradoxon). Ob diese eine Rolle spielen und welche, habe ich hier nicht untersucht.
Der Drehimpuls des Motors entsteht damit durch das Drehmoment, das die Lorentz-Kraft auf die im Magneten bewegten Elektronen ausübt. Sie ist für das Systempaar Elektronen/Gefüge eine äußere Kraft (des Magnetfelds). Die Drehrichtung stimmt mehr oder weniger mit der Lorentz-Kraft auf die Elektronen im Magneten überein, wie das der englischsprachigen Version von Schlichting und C. Ucke unterstellt werden kann und auch von Wong behauptet wird. Die Begründung hier ist aber eine ganz andere als bei den drei Autoren. Die "Ulmer Erklärung" stimmt in Ursache der Drehung und Drehrichtung mit meiner Erklärung überein. Eine Begründung, dass kein Reaktionsdrehmoment auftritt, wird dort aber nicht gegeben.
Ähnlich könnte auch ein Mitnahmeeffekt bei einem "levitated homopolar motor" eine Rolle spielen. Ein Indiz dafür wäre es, wenn das Anheben des rotierenden Alu-Zylinders nur dann funktionieren würde, wenn die Monozellen-Polung im Alu-Zylinder einen Strom von oben nach unten bewirken würde. Die Elektronen würden dann entgegen der Schwerkraft fließen und den Zylinder nach oben mitnehmen.
Hinweise:
1. Bekanntlich ist das elektromagnetische Feld Träger von Impuls
und Drehimpuls. Die jeweilige Impulsdichte enthält
dann beide Felder, E und B (z.B. für die Impulsdichte g
= (E x B)/4πc). Im mitrotierenden BZS ist E = 0, damit
auch der Drehimpuls. Im Laborsystem dagegen entstehen im rotierenden
Magneten nach der Relativitätstheorie (ähnlich wie beim
magnetisierten Stab) eine elektrische Polarisation P und
ein elektrisches Feld E. Wie weit dieses für die Berechnung des
Drehimpulses ausreicht, habe ich nicht untersucht; es gibt ja keinen
Anlass, mit einer Drehimpulsänderung des Magnetfelds zu argumentieren.
2. Falls die Stromzuführung über einen gut leitenden geschlossenen Ring um den Magneten erfolgt, funktioniert der Motor nicht mehr. Man muss erwarten, dass sich der Strom im Ring verteilt und anteilig aus verschiedenen Richtungen in den Magneten eintritt. Für eine bestimmte Eintrittsrichtung und damit Richtung der Lorentz-Kraft wird dann die Stromdichte reduziert. Am Magnetfeld ändert sich in guter Näherung nichts. Dass der Motor jetzt nicht funktioniert, kann also nur mit dem Strom zusammenhängen.
Falls der Ring ein idealer Leiter ist, liegt bei B = 0 für jeden
seiner Punkte gleiches Potenzial vor. Die Trennfläche zwischen Ring und
Magnet ist dann also eine Äquipotenzialfläche. Anschaulich argumentiert:
Es ist kein Punkt auf der Trennfläche ausgezeichnet, von dem sich der
Pluspol "ein Elektron holen" könnte. Es fließt dann von
unterschiedlichen Richtungen her zum Pluspol auf der Achse. Wenn das
wenigstens tendenziell bei B =/= 0 auch so wäre (ich kann nicht
erkennen, dass ein Magnetfeld diese Situation grundlegend ändern
könnte), hätten dementsprechend die Lorentz-Kräfte unterschiedliche
Richtungen. Bei fehlendem Ring dagegen kann "ein Elektron nur vom
Schleifkontakt abgeholt" werden, weshalb die Lorentz-Kraft weitgehend
einheitliche Richtung hat.
Literatur:
Schlichting, H.J., Ucke, C., A fast, high-tech,
low cost electric motor construction: https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/fachbereich_physik/didaktik_physik/publikationen/high_tech_low_cost.pdf
Schlichting, H.J., Ucke, C., Der einfachste
Elektromotor der Welt, Physik in unserer Zeit, 35, 2004, 272 -
273
Wong, H.K., Motional Mechanisms of Homopolar Motors & Rollers, The Physics Teacher, 47, Oct. 2009, 463 - 465
Wong, H.K., Levitated homopolar motor, The
Physics Teacher, 47, Feb. 2009, 124 https://www.deepdyve.com/lp/american-association-of-physics-teachers/levitated-homopolar-motor-WjLGBeck8I
"Ulmer Erklärung": http://vorsam.uni-ulm.de/vs/Versuche/EM/PDF/EM214V00.PDF
Ich danke Herrn H. Härtel, mich auf den "einfachsten Elektromotor" aufmerksam gemacht zu haben, und für die Diskussionen, die, auch wenn sie manchmal kontrovers verliefen, mich schließlich dazu brachten, diese Vorstellung zu entwickeln.