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© Horst Hübel Würzburg 2005 - 2018


Lorentz-Kraft und Lorentz-Transformation der Felder Eine Analyse

1. Transformation der Felder und der Lorentz-Kraft nach der Relativitätstheorie für kleine Geschwindigkeiten v << c

Generell kann man sagen, dass für dieselbe Situation, von verschiedenen relativ zueinander bewegten Bezugssystemen aus beurteilt, unterschiedliche elektrische und magnetische Felder (E und B) gemessen werden, und dass z.B. auch Bewegungen in solchen Bezugssystemen unterschiedlich aussehen. Wenn in einem Bezugsystem BZS1 die Felder E und B gemessen werden, dann werden in einem mit der konstanten Geschwindigkeit u relativ dazu bewegten Bezugssystem BZS2 die Felder E' und B' gemessen, wobei in nichtrelativistischer Näherung im MKS-System (SI-System) gilt:

(1)               E' = E + u × B  und

(2)               B' = B - u × E /c2                                      häufig also bei kleinen Geschwindigkeiten u: B' ≈ B

(c Lichtgeschwindigkeit, × Kreuzprodukt)

Diese Transformationsgesetze haben bedeutende Konsequenzen:

Wenn z.B. in BZS1 ein reines Coulombfeld E gemessen wird und kein B-Feld (B = 0), dann misst ein Beobachter in BZS2 trotzdem ein elektrisches und ein magnetisches Feld (E' und B'). Das könnte die Situation eines in BZS1 ruhenden Elektrons sein, das in einem BZS2 mit (-u) bewegt ist, also einen elektrischen Strom darstellt. In BZS2 beobachtet man dann nicht nur ein (verformtes) elektrisches Feld, sondern gemäß (2) auch ein magnetisches Feld, wie es auch das Biot-Savart'sche Gesetz für einen stromdurchflossenen Leiter verlangt. Das zeigt wieder einmal, dass die Relativitätstheorie auch für sehr kleine Geschwindigkeiten richtige Aussagen macht.

Umgekehrt, wenn das Elektron in BZS2 ruht, mit einem elektrischen Feld, aber keinem von ihm ausgehenden Magnetfeld (E'; B' =/=0), dann bewegt sich BZS1 mit -u relativ zu BZS2, und es gilt

(1')               E = E' + (-u) × B'  und

(2')               B = B' - (-u) × E' /c2

Andererseits, wenn in BZS1 ein reines Magnetfeld (B) vorliegt, ist in BZS2 gemäß (2) auch ein elektrisches Feld E' = u × B nachzuweisen. Das hat z.B. Folgen für die Unipolar-Induktion oder auch für das Schulbeispiel des im Magnetfeld bewegten Leiterbügels.

v sei die Geschwindigkeit einer Ladung q im BZS1, v' die Geschwindigkeit im BZS2. Beide Geschwindigkeiten unterscheiden sich in der Regel von der Relativgeschwindigkeit u der beiden BZSe. Bei Vernachlässigung des relativistischen Additionstheorems gilt dann v' = v - u.

Dementsprechend werden die Lorentz-Kräfte auf eine Ladung q

(3)             F = q E + q v × B        in BZS1                 und

(4)             F' = q E' + q v' × B'      in BZS2

gemessen. In der Schule nennt man manchmal nur den magnetischen Anteil "Lorentz-Kraft".


2. Forminvarianz der Lorentz-Kraft

Die beiden Ausdrücke (3) und (4) für die Kräfte demonstrieren mit ihrem gleichartigen Aufbau aus den im jeweiligen Bezugssystem geltenden Feldern und Geschwindigkeiten ihre Forminvarianz (Kovarianz): Wenn nur die im jeweiligen Bezugssystem geltenden Größen verwendet werden, sehen die Ausdrücke gleich aus. Will man die Lorentz-Kraft in irgendeinem BZS berechnen, benutzt man nur die Größen in diesem BZS und braucht sich nicht um die Felder in anderen BZS kümmern.


3. BZS2 mit ruhender Ladung

Betrachten Sie eine Ladung q, die im BZS2 ruht und sich mit der Geschwindigkeit v relativ zum BZS1 bewegt (u heißt jetzt v). Im BZS1 soll ein elektrisches Feld E und ein magnetisches Feld B herrschen. In BZS2 erfährt die ruhende Ladung die Felder E' und B', aber keine magnetische Lorentz-Kraft, weil sie in BZS2 ruht. Es gilt also F' = q E'.

Im BZS1, das mit der Geschwindigkeit -v relativ zu BZS2 bewegt ist, erfährt sie jedoch ein geändertes elektrisches Feld E, das magnetische Feld ist weitgehend unverändert (B' ≈ B). In BZS1 erfährt die Ladung also auf jeden Fall eine elektrische Lorentz-artige Kraft

q E =   q (E' + (-v) × B')  ≈   q (E' - v × B

Der zweite Anteil ist nur scheinbar ein magnetischer Anteil, der von der Bewegung mit der Geschwindigkeit -v relativ zum BZS2 zusammenhängt. Er ist eigentlich ein elektrischer Anteil. Ich nenne ihn deshalb vorsichtshalber Lorentz-artig.

Manche Autoren sprechen manchmal davon, dass der magnetische Anteil der Lorentz-Kraft ein relativistischer Effekt sei. Der Term - q  v × B sieht aus wie eine Lorentz-Kraft, hat aber das falsche Vorzeichen der Geschwindigkeit.  Es ist zu beachten, dass in BZS1 eine echte Lorentz-Kraft q v × B dazu kommt, weil sich q (zusammen mit BZS2) im BZS1 mit der Geschwindigkeit v bewegt.

Wie weit eine solche Aussage sinnvoll ist, soll im Folgenden untersucht werden.


4. BZS1 mit ruhender Ladung

4.1 Betrachten Sie eine Ladung q, die im Laborsystem BZS1 ruht. Dort erfährt sie vielleicht ein elektrisches Feld E und ein magnetisches Feld B,  aber keine magnetische Lorentz-Kraft. Es gilt also F = q E (bei v = 0)

Im BZS2, das mit der Geschwindigkeit u relativ zum Laborsystem bewegt ist, erfährt sie jedoch ein geändertes elektrisches Feld E' = E + u × B, das magnetische Feld ist weitgehend unverändert (B' ≈ B). In BZS2 erfährt die Ladung also eine elektrische Lorentz-artige Kraft q E' = q(E + u × B). Hinzu kommt eine echte magnetische Lorentz-Kraft q v' × B', weil sich q mit der Geschwindigkeit v' im Magnetfeld B' bewegt (v' ist die Geschwindigkeit der Ladung im BZS2; ).

(5)             F' = q E' + q v' × B'


4.2 Größenbeziehung der Kräfte

Eine andere Frage ist die nach der Größenbeziehung der Kräfte in beiden BZS.

In erster Näherung (bei Vernachlässigung des relativistischen Additionstheorems) gilt dann v' = v - u, also u + v' = v

Dann können wir die Anteile auch durch Größen im Laborsystem BZS1 ausdrücken:

q E' =   q (E + u × B) zusätzlich zur echten magnetischen Lorentz-Kraft q v' × B. Das Auftreten von u weist auf die Relativbewegung zwischen BZS2 und BZS1 mit der Geschwindigkeit u hin. u × B kommt durch die Lorentz-Transformation aus dem BZS1 zustande.

Zusammen also

F' = q (E + u × B) + q v' × B = q [E + (u + v') × B], also

(6)             F' = q (E + v × B)

    (F' = F ;  auch, wenn die Ladung q in BZS1 ruht: v = 0)

In beiden BZS sind dann die Lorentz-Kräfte  F und Fder Größe nach identisch. Da hier nur die nichtrelativistische Näherung betrachtet wurde, ist das sogar plausibel.

Wenn das Elektron in BZS1 ruht (v = 0), fällt in beiden BZS der magnetische Anteil der LK weg. Das ist insofern verwunderlich, als im BZS2 trotz der Bewegung des Elektrons im Magnetfeld B mit der Geschwindigkeit -u keine manifeste magnetische Lorentz-Kraft entsteht. Grund ist die Kompensation zwischen zwei Anteilen, nämlich der "echten" LK in BZS2, also q v' × B = - q u × B und einem Term, der eine Folge des magnetischen Felds in BZS1 und dem durch die Lorentz-Transformation entstandenen Zusatzterm in BZS2 ist (q u × B).


5. Ein anderer Fall spielt bei der Unipolar-Induktion eine Rolle

In BZS1 bewege sich ein Magnet mit der Geschwindigkeit u. Er bildet das BZS2. In ihm ruhe ein Elektron. Im BZS2 spürt es evtl. ein elektrisches Feld E' und ein magnetisches Feld B' (als Folge des Magneten). Weil es in BZS2 ruht, enthält die Lorentz-Kraft dort keinen Anteil vom Magnetfeld (F'= q E').

Wir wollen jetzt die Kraft auf dieses Elektron untersuchen, wie sie gesehen wird vom BZS1. Weil sich das Elektron in BZS1 (mit seinem Magnetfeld B) mit u bewegt (zusammen mit BZS2), wirkt auch der magnetische Anteil der Lorentz-Kraft mit q u × B. So würde es eine naive Überlegung nahelegen. Aber wir haben einen wichtigen Beitrag weggelassen und den nichtrelativistisch genäherten Beitrag zum elektrischen Feld - q u × B' im BZS1 vernachlässigt. Das Minuszeichen kommt daher, dass sich BZS1 mit der Geschwindigkeit -u relativ zu BZS2 bewegt. Die beiden Anteile kompensieren sich. Zusammen also auch hier F = q E' ohne magnetischen Anteil. Das Weglassen dieses Zusatzterms hat leider historisch bei der Diskussion der Unipolar-Induktion manchmal zu falschen Ergebnissen geführt.


6. Bewegte Leiterbrücke im Magnetfeld bei der "Lorentz-Induktion"

6.1 Zur Induktion im geschlossenen Stromkreis

Auf einem U-förmigen Leiterbügel bewege sich mit gutem elektrischen Kontakt eine Leiterbrücke mit der Geschwindigkeit v senkrecht zur Ebene des Leiterbügels und senkrecht zum konstanten und homogenen Magnetfeld B. Die Leiterbrücke habe zwischen den Armen des U's die Länge ℓ.

Im Laborsystem, in dem der U-förmige Leiterbügel ruht, ändert sich der eingeschlossene magnetische Fluss mit einer Änderungsrate ΔΦ/Δt = B·ℓ·v. Dementsprechend entsteht eine Ringspannung Uring mit dem Betrag |Uring| = B·ℓ·v. Sie hat einen Ringstrom zur Folge, dessen Größe sich mit dem Ringwiderstand ändert. Bei einer Stromdichte j kann wegen des ohmschen Gesetzes j = σ·E' auf die elektrische Feldstärke E' im Leiter geschlossen werden. Wenn der Betrag von j überall im Stromkreis konstant ist, herrscht danach auch überall eine elektrische Feldstärke E' von gleichem Betrag: Das elektrische Feld begleitet den Leiter bei einer beliebigen Form (Die Freunde von Oberflächenladungen freuen sich.). Über die Erfahrungstatsache des ohmschen Gesetzes entsteht also sozusagen eine "Zwangsbedingung" für die induzierte elektrische Feldstärke. Das Induktionsgesetz selbst macht i.A. keine Aussage über die Verteilung des elektrischen Felds längs des Rings.  (Allerdings gilt: Uring = B·l·v = E'·Δs  => E' = B·l·v/Δs , wenn Δs der jeweilige Umfang des Leiterrings ist.)

6.2 Unterbrochener Stromkreis

Einerseits entsteht nach dem Induktionsgesetz eine Ringspannung Uring mit einem Wirbelfeld, auch in der geschlossenen Linie, die aus dem U und der Leiterbrücke gebildet ist. In einem Sekundärprozess entsteht andererseits auch eine gewöhnliche Spannung, wenn der Stromkreis unterbrochen ist. Durch die Induktion wirkt nämlich in der Leiterbrücke (im BZS2, das mit der Geschwindigkeit v relativ zu BZS1 bewegt ist) gemäß der Lorentz-Transformation ein elektrisches Feld E'ind = v × B, und nur hier, da für andere Teile des Leiterrings v = 0. Es ist ein Lorentz-artiges Feld und entspricht bei einer Ladung q bis auf den Faktor q der Lorentz-Kraft im BZS1. In BZS2 entsteht keine Lorentz-Kraft, da in ihm die Ladungen ruhen. Eine "Zwangsbedingung" durch das ohmsche Gesetz gibt es bei fehlendem Strom nicht mehr.

Folge des elektrischen Felds in der Leiterbrücke ist eine Ladungsverschiebung, durch die ein statisches elektrisches Feld in der Leiterbrücke entsteht mit im Gleichgewichtsfall E'stat = - E'ind = - v × B. Das Leiterinnere ist damit feldfrei: E' = E'stat + E'ind = 0. Aber bei einer Länge ℓ der Leiterbrücke folgt aus dem statischen Feld eine gewöhnliche Spannung U mit dem Betrag |U| = B·ℓ·v, was mit dem Betrag der Ringspannung übereinstimmt.

Der Trick, den Stromkreis zu öffnen, ermöglicht also eine Messung der Ringspannung durch die sekundär entstehende gewöhnliche Spannung. Ein zweite Möglichkeit besteht in der Messung des Induktionsstroms I und des Ringwiderstands R beim geschlossenen Stromkreis. Dann erhält man  Uring = I·R.

Wenn man unbedingt will, kann man jetzt fragen, welches elektrisches Feld sich aus E' = 0 für das BZS1 ergibt. Die Lorentz-Transformation (BZS1 ist mit -v relativ zu BZS2 bewegt) liefert in nichtrelativistischer Näherung in der bewegten Brücke (gemessen in BZS1):

E = E' + (-v) × B = - v × B. Das entspricht dem statischen elektrischen Feld in der Leiterbrücke. 

Zur Kraft auf eine Ladung q kommt in BZS1 die Lorentz-Kraft hinzu, da die Leiterbrücke in BZS1 mit v im Magnetfeld B bewegt ist, zusammen also

Ftotal = q E + q v × B = q·( -v × B + v × B ) = 0. Sie bewirkt keine weitere Ladungsverschiebung in der Leiterbrücke: Auch in BZS1 besteht Gleichgewicht.

In der Schule wird man lieber im BZS1 bleiben. Dort wirkt auf eine Ladung q  in der Leiterbrücke eine Lorentz-Kraft F = q v × B (das ist hier die Induktion). Auch sie verschiebt Ladungen, wodurch ein statisches elektrisches Feld aufgebaut wird mit Estat = - v × B. Es führt wie oben zur gewöhnlichen Spannung mit dem Betrag  |U| = B·ℓ·v.

(In Schulbüchern wird die Entstehung der Induktionsspannung häufig als Folge dieses Mechanismus dargestellt. Es handelt sich aber eigentlich um einen Sekundäreffekt.)


7. Zusammenfassung

(1) (Situation A) Immer dann, wenn sich eine Ladung in einem BZS mit einer Geschwindigkeit v bewegt, in dem ein Magnetfeld B gemessen wird, entsteht eine Lorentz-Kraft auf die Ladung.

(Situation B) Wenn in diesem BZS durch Induktion oder die Lorentz-Transformation aus einem anderen BZS zusätzlich ein Lorentz-artiges elektrisches Feld entsteht, können sich beide Einflüsse auf die Ladung kompensieren.

(Situation C) In einem BZS, in dem die Ladung ruht, entsteht keine Lorentz-Kraft, auch wenn durch Induktion oder die Lorentz-Transformation aus einem anderen BZS ein Lorentz-artiges elektrisches Feld entsteht.

{Situation A: bewegtes Elektron im BZS1 - Situation B: Elektron, das im BZS1 bewegt ist und im BZS2 ruht, wenn im BZS1 ein Magnetfeld herrscht. (BZS2: keine Lorentz-Kraft, aber Lorentz-artige Kraft; BZS1: Lorentz-Kraft; wenn in BZS2 B' gemessen wird, zusätzlich Lorentz-artige Kraft in BZS1: Kompensation)}

(2) Man sollte Vorsicht walten lassen beim Ansatz einer Lorentz-Kraft oder der Transformationsgleichungen.

(3) Bei Induktion durch Bewegung sollte die Ringspannung in den mitbewegten BZSen des Rings berechnet werden. Nur in Sonderfällen (offener Stromkreis) stimmt diese mit einer gewöhnlichen Spannung überein.


8. Hinweis

Außer bewegten Ladungen (außer elektrischen Strömen) gibt es noch andere Ursachen eines Magnetfelds ("Quellen"; jedoch alle Magnetfelder sind Wirbelfelder): magnetische Momente bzw. Spins von Elektronen, Ionen oder Atomen. Der Spin ist zwar ein relativistischer Effekt, aber das von ihm ausgehende Magnetfeld lässt sich nicht durch eine einfache Lorentz-Transformation (Translation) zwischen Inertialsystemen in ein anderes Bezugssystem erklären. Es gibt keine klassische Erklärung des Spins. Rotation einer elektrischen Ladung ist nur ein - nicht ganz passendes - Modell. Was sollte schließlich die Rotation eines Körpers ohne Ausdehnung (des Elektrons) sein? Der in diesem Zusammenhang manchmal definierte "klassische Elektronenradius" ist nur eine mathematische Hilfsgröße, der kein realer Radius entspricht. Wenn es eine solche Rotation gäbe, müsste am Äquator des vermeintlich rotierenden Körpers die Lichtgeschwindigkeit überschritten werden.

9. Relativistische Transformationsformel

Wenn in einem Bezugsystem BZS1 die Felder E und B gemessen werden, dann werden z.B. nach Jellito, Elektrodynamik in einem mit der konstanten Geschwindigkeit v relativ dazu bewegten Bezugssystem BZS2 die Felder E' und B' gemessen:

E' = γ (E + v × B) - (1- γ)/v2 v (v·E)

B' = γ (B - v × E /c2) - (1- γ)/v2 v (v·B)

wobei  γ = (1 - ß2)-1/2  und ß = v/c. Die Ausdrücke enthalten Skalar- und Vektorprodukte. Für v/c << 1 strebt γ gegen 1 und der zweite Beitrag mit ß2 << 1gegen 0, also E' gegen E + vB und B' gegen B - v × E /c2 bzw. B' gegen B .


( erstellt Juni 2018 ; Oktober 2018: Umwandlung in MKS- bzw. SI-System, bewegte Leiterbrücke im Magnetfeld ergänzt; Relativgeschwindigkeit von BZS in u umbenannt)