© Horst Hübel Würzburg
2005 - 2014
Schulbuch-Verwirrung um den Spannungsbegriff |
In neueren Schulbüchern zur Physik wird - oft lehrplangemäß - definiert:
?? | . | "Die Spannung U an elektrischen Energiequellen gibt an, wie viel potenzielle Energie ΔEpot pro Ladung Q zur Verfügung steht: U = ΔEpot/Q." | . | ?? |
(Zitat nach Fokus Physik 8 Gymnasium Bayern 1. Auflage; möglicherweise sind Zitat und die zugehörigen Ausführungen nicht mehr aktuell)
Es soll hier gezeigt werden, welche Fragen eine solche unsinnige Definition außerhalb der Elektrostatik aufwirft, insbesondere, wenn nicht geklärt wird, von welcher Ladung Q die Rede ist. Es soll ferner gezeigt werden, dass die traditionelle Spannungsdefinition über "Stromarbeit pro dabei transportierter Ladungsmenge", die auch der Vorschrift nach DIN 1324 zugrundeliegt, viel einfacher ist und all die begrifflichen Schwierigkeiten vermeidet, die die neue Schulbuchdefinition aufwirft.
A Betrachten Sie erst ein Problem der Elektrostatik:
Eine Batterie mit der Leerlaufspannung U0 = 10 V sei verbunden mit Plattenkondensator mit A = 900 cm² = 9·10-2 m² , d = 0,1 mm = 10-4 m. Jede Platte habe eine Dicke von 0,01 m, also ein Volumen von 9·10-4 m³. Die Platte bestehe aus Aluminium mit der Dichte ρ = 270 kg/m3 . Da Al die Ordnungszahl Z = 13 hat, hat ein kMol die Masse 13 kg bei 6·1026 Teilchen.
Ein Alu-Atom hat die Masse 13/6·10-26 kg = 2,17·10-26 kg . Im Volumen V mit der Masse m = ρ · V = 270 · 9·10-4 kg = 243·10-3 kg = 0,243 kg sind also 0,243·6/13·10 26 = 0,112·10 26 Alu-Atome enthalten. Jedes stellt erfahrungsgemäß ca. 1 "freibewegliches Leitungselektron" zur Verfügung, d.h. in jeder der Aluplatten des Kondensators sind ca. 0,1·10 26 = 1025 "freibewegliche Leitungselektronen" vorhanden.
Die Kapazität des Kondensators beträgt C = e0 ·A/d = 8,85·10-12 As/Vm 9·10-2 / 10-4 m = 8·10-9 F
Wegen Q = C·U = 8·10-8 As sind auf der negativen Platte zusätzlich zu den schon vorhandenen 1025 "freibeweglichen Leitungselektronen" nur mehr 8·10-8/1,6·10-19 = 5·1011 weitere vorhanden, die auf der positiven Platte fehlen, in beiden Fällen ist der Prozentsatz der Überschussladungen im Vergleich zu den immer vorhanden verschwindend gering.
1. Bringt man eine zusätzliche Elementarladung q ("Probeladung") in die Nähe der positiven Platte, dann hat diese tatsächlich eine potenzielle Energie Epot = q·U = 10 eV, wenn der Bezugspunkt auf der negativen Platte liegt. Hierüber herrscht allgemein Einverständnis.
2. Eine potenzielle Energie ist immer die Energie von etwas an einem bestimmten Ort.
Haben die felderzeugenden Ladungen auf den Kondensatorplatten eine potenzielle Energie? Der Leser möge das selbst entscheiden. Sicher ist, dass zum Laden des Kondensator mit der Ladung Q die Arbeit W = ½·Q·U = ½ · 5·1012 eV = 2,5·1012 eV = 4·10-7 J nötig war, eine Arbeit, die als elektrische Energie im elektrischen Feld steckt. Man könnte sie als potenzielle Energie aller Überschussladungen auf einer Platte auffassen. Im Mittel hätte dann jede der felderzeugenden Überschussladungen auf der einen Platte eine potenzielle Energie von 5 eV im Vergleich zum Bezugspunkt auf der anderen Platte (bei einer Kondensatorspannung von 10 V). Auch hierüber herrscht allgemein Einverständnis. Aber die Zahl der Überschussladungen ist extrem gering im Vergleich zur Zahl aller freibeweglichen Ladungen. Die Überschussladungen haben im Mittel keinesfalls die Energie von 10 eV, wie uns Schulbuchautoren möglicherweise weismachen wollen.
3. Die überwiegende Mehrheit der freibeweglichen Ladungen nimmt nach dieser Argumentation an den energetischen Vorgängen beim geladenen Kondensator nicht teil. Sie gewinnen durch das Laden des Kondensators keine Energie. Bereits hier beim geladenen Kondensator entsteht nun ein Problem: Wenn ich die Ansicht von Schulbuchautoren recht verstehe, soll nach ihrer Meinung die überwiegende Mehrzahl der freibeweglichen Leitungselektronen auf der einen Platte keine potenzielle Energie besitzen, aber die wenigen dicht daneben liegenden Überschussladungen sehr wohl. Ob die Ladungen das wohl jeweils von sich wissen? An den Gedanken müsste man sich erst gewöhnen. Aber: Wenn es einen Sinn hat, von potenzieller Energie zu sprechen, müssten auch die positiven Atomrümpfe potenzielle Energie haben, von umgekehrten Vorzeichen wie die freibeweglichen Leitungselektronen in gleicher Zahl. Beide zusammen würden dann nichts zur gesamten potenziellen Energie beitragen.
4. Beim geladenen Kondensator sind tatsächlich Ladungen "getrennt" worden. Es sind Ladungen von der einen Platte auf die andere transportiert worden, wobei komplizierte elektrochemische Vorgänge in der Batterie wirksam waren. Im Vergleich zu neutralen Platten ist auf der einen Platte eine Zusatzladung +Q, auf der anderen eine Zusatzladung -Q entstanden. Der Ladungsunterschied beträgt also 2·Q (Der Lehrer weiß, dass es auf den nicht ankommt, aber Schülern könnte das Kopfzerbrechen bereiten). Dazu war die Arbeit W = 1/2·U·Q nötig, die als elektrische Energie im Kondensator gespeichert ist. Man könnte sie eventuell als potenzielle Energie der Überschussladung Q interpretieren. Schulbücher - als besonders abstruses Beispiel wird hier Fokus Physik 8 genannt - äußern sich nicht dazu, von welchen Ladungen sie sprechen. Sie behaupten aber, dass bei einer nicht näher spezifizierten Ladung Q' (sie wird von Schulbuchautoren manchmal freie Ladung genannt) eine potenzielle Energie von U·Q' vorliege. Ein Widerspruch?
Der Name "freie Ladung" wird übrigens üblicherweise für etwas anderes verwendet, nämlich für die felderzeugende Ladung Q auf einer Kondensatorplatte als Ursache für die Verschiebungsdichte D, im Unterschied zu eventuell zusätzlich noch vorhandenen Polarisationsladungen, die im Dielektrikum gebunden sind und zusammen mit den freien Ladungen die elektrische Feldstärke E im Kondensator bestimmen. Diese freien Ladungen heißen manchmal auch "wahre" oder "externe" Ladungen.
5. Schulbuchautoren behaupten, dass die Spannung U sage, welche "potenzielle Energie pro Ladung Q zur Verfügung" stehe, nämlich U = Wpot /Q. Was mag das wohl bedeuten? Für welchen Zweck soll diese potenzielle Energie "zur Verfügung stehen"? In welcher Situation? Welche Ladung Q soll wohl der Träger dieser Energie sein?
Was zeichnet die Überschussladungen aus, dass eventuell nur für sie "potenzielle Energie zur Verfügung stehen" sollte und nicht auch für die anderen freibeweglichen Ladungen, die sich dicht daneben befinden?
B Der geladene Kondensator sei nun selbst die Energiequelle mit der Spannung U und entlade sich über einen Widerstand.
Dabei fließt die Ladung Q und transportiert Energie in den Widerstand. Steht auf dem Kondensator wirklich die potenzielle Energie Epot = Q.U dafür "zur Verfügung", obwohl der Kondensator nur die Energie 1/2·Q·U enthält? Bis zur vollständigen Entladung wird die Stromarbeit W = 1/2·Q·U verrichtet. Warum sollte so nur die Hälfte der "zur Verfügung stehenden" Energie genutzt werden? Absurd!
C Verlassen wir nun die Elektrostatik und gehen wir zu einem stationären Strom über.
1. Sollte die postulierte "potenzielle Energie" etwa für die Ladungen "zur Verfügung stehen", die bei einer Stromstärke I in einem Zeitintervall dt durch einen Widerstand fließen? Das würde quantitativ passen, aber warum sollte die potenzielle Energie ausgerechnet nur für sie zur Verfügung stehen? Was zeichnet sie vor anderen aus?
2. Was die Maxwell'sche Theorie zu den energetischen Vorgängen bei einem stationären Strom lehrt, ist bekannt; man kann es in Standard-Lehrbüchern der Elektrodynamik (z.B. Panofsky/Philips, Classical Electrodynamics) nachlesen.
Sie lehrt, dass eine potenzielle Energie aus den energetischen Vorgängen beim stationären Strom ganz herausfällt - wenn man sie überhaupt definieren könnte. Eine potenzielle Energie kann bei einem stationären Strom keine Rolle spielen. Sie kann die energetischen Vorgänge im Stromkreis nicht erklären.
3. Bei vielen stationären Strömen gibt es tatsächlich keine "Ladungstrennung", mit der Schulbuchautoren in diesem Zusammenhang auch zu argumentieren versuchen. Was das Q der Schulbuchautoren hier sein sollte, bleibt völlig schleierhaft. Bei einem homogenen Leiterring etwa, in dem ein Strom induziert wird, ist die Ladungsdichte ρ überall = 0, obwohl ein Strom fließt. Hier werden freibewegliche Leitungselektronen zwar in Bewegung gesetzt, aber die Ladungsdichte der positiven wie der negativen Ladungsträger für sich ist überall dieselbe, dem Betrag nach gleich, und, sobald der stationäre Strom fließt, auch zeitlich konstant. Hier gibt es keine "getrennten" Ladungen. Zwar ist es klar, dass bei einer nicht an einen Stromkreis angeschlossenen Batterie am negativen Pol ein (geringer) Überschuss an negativen Ladungen vorliegt im Vergleich zum positiven Pol. Ob das bei einem stationären Strom immer noch der Fall ist, ist für den Stromfluss völlig belanglos. Induktion in einer Leiterschleife ist wieder das Paradebeispiel.
M.E. braucht man aber gar nicht auf die Maxwell-Theorie zurückgreifen. Man sieht sofort, dass die Argumentation der Schulbuchautoren in sich inkonsistent ist, da völlig unklar bleibt, für welche Ladungen die potenzielle Energie "zur Verfügung" stehen sollte. Der Strom sorgt eventuell dafür, dass nirgendwo im Stromkreis ein Überschuss von Ladungen vorliegt; das wäre nur möglich, wenn sich die Leitfähigkeit ändert. Unabhängig davon, ob das der Fall ist oder nicht, fließt aber ein stationärer Strom und es gelten die üblichen Gesetze des stationären Stroms.
Nein, die tatsächlichen Verhältnisse bei einem stationären Stromkreis sind - auf Schulniveau - einfach und erfordern nicht das Artefakt und die Komplizierung durch eine nicht existierende oder keine Rolle spielende potenzielle Energie:
In der Batterie wird aus chemischer Energie elektrische Energie (genauer: elektromagnetische Energie erzeugt). Diese wird mit dem Strom von der Stromquelle zum (Energie-)"Verbraucher" transportiert und dort zur Verrichtung von Stromarbeit W genutzt. Wenn der Strom I in der Zeit dt die Ladungsmenge Q = I·dt durch den Verbraucher hindurch transportiert, dann wird die Stromarbeit W = Q·U = I·dt·U im Verbraucher verrichtet. Damit lässt sich auch die Spannung U definieren als Stromarbeit pro dabei transportierter Ladungsmenge U = W/Q , wie es für industrielle Anwender auch nach DIN 1324 vorgeschrieben ist. Aber Stromarbeit ist keine potenzielle Energie, und elektrische Energie im allgemeinen auch nicht. |
Für die Schule braucht man nach diesem Konzept nicht diskutieren, wie diese elektrische/elektromagnetische Energie zum Verbraucher transportiert wird (das lehrt der Poynting-Vektor, den man in der Schule verschweigen sollte); man braucht die verschiedenen Ladungssorten nicht unterschiedlich behandeln; man braucht nicht behaupten, dass einige wenige Ladungen vor anderen bevorzugt werden (solche die angeblich potenzielle Energie haben sollen). Es ist klar, von welchen Ladungen bei der Stromarbeit die Rede ist. Man braucht keine Wischiwaschi-Argumentation aufbauen, weil man sich nicht festlegen kann, von welchen Ladungen man spricht. Und man kommt nicht in Versuchung, die verschiedenen Artefakte, die eine angebliche potenzielle Energie von Ladungen in die Physik des stationären Stromkreises einführt, zu diskutieren.
Nein, wer - abweichend von der etablierten Elektrodynamik - beim stationären Strom ein Konzept von einer "potenziellen Energie pro Ladung Q" propagiert, kompliziert die Sachverhalte unnötigerweise, verwirrt Schüler (und Lehrer) und nährt den Verdacht, dass er den einfachen Stromkreis nicht verstanden hat.
Irgendwie spukt hier noch eine Vorstellung umher, dass es für einen stationären Strom wesentlich sei, dass die Stromquelle (Energiequelle) Ladungen und Energie liefere, Ladungen, die ohne sie nicht vorhanden seien, so als würde die Batterie einen Vorrat von Ladungen an den Polen schaffen, der den Strom speist. Dagegen ist typisch, dass Energie mittels im Stromkreis vorhandener Ladungsträger transportiert wird. Aus dem negativen Pol fließen in der Regel Elektronen in den äußeren Stromkreis, während gleich viele am positiven Pol wieder angesaugt werden. An den Ladungsverhältnissen im äußeren Stromkreis ändert sich dabei gar nichts. Es ist unerheblich, ob sich irgendwo Ladungen "stauen" (dass dort ein lokaler Ladungsüberschuss vorhanden ist). Das wäre bei einem stationären Strom ohnehin nur dort möglich, wo sich die Leitfähigkeit ändert. Das gilt auch für die Pole. Sowohl das Beispiel der Induktion in einer geschlossenen homogenen Leiterschleife wie die experimentell überprüfbare Tatsache, dass auch durch eine Batterie ein gleichgroßer Strom fließt wie im äußeren Stromkreis, weist darauf hin, dass die wesentliche Aufgabe der Stromquelle es ist, einen Strom von (im äußeren Stromkreis) vorhandenen Ladungsträgern in Gang zu halten und die Energie bereit zu stellen, durch die Energieverluste ersetzt werden. Mit welchem Mechanismus sie das erreicht, ist eine ganz andere Frage.
(Bei einer Wechselstromquelle ist noch klarer, dass im Stromkreis vorhandene Ladungen (und nicht von der Stromquelle gelieferte) den Strom transportieren: Elektronen, die kurzzeitig aus dem einen Pol heraus fließen, werden in der nächsten hundertstel Sekunde vom selben Pol wieder angesaugt bei einer Reichweite in der Größenordnung von Atomdurchmessern. Dennoch fließt der Strom im ganzen Stromkreis und vermittelt überall den Transport von elektrischer (Feld-)Energie. Und wenn es tatsächlich Ladungen gäbe, die in der Nähe des einen Pols positive "potenzielle Energie" für 0,01 s besitzen, wie sollte diese dann in den nächsten 0,01 s zum anderen Pol kommen?)
Die Vertreter dieses Irrtums werden wohl dazu verführt durch die Tatsache, dass bei unterbrochenem Strom tatsächlich an einem Pol der Stromquelle ein (kleiner) Ladungsüberschuss des einen Vorzeichens vorhanden ist. Wie das Beispiel des an die Stromquelle angeschlossenen Kondensators lehrt, kann dieser aber beliebig klein sein, wenn die Kapazität der Polklemmen (einem Kondensator entsprechend) klein ist. Bei C = 10-12 F und 10 V ergibt sich Q = 10-11 A·s, während bei einem Strom von 1 A in 1 µs immerhin schon die Ladung I·dt = 10-6 A·s aus der Stromquelle heraus fließt. Man muss schon zu sehr kurzen Zeiten übergehen, wenn man die transportierte Ladung der Größenordnung nach mit den bei unterbrochenem Stromkreis "gestauten" Ladung in Beziehung setzen möchte; begrifflich ist das ohnehin problematisch. Die Größe (Kapazität) des "Polkondensators" kann keinen Einfluss auf die Stromstärke haben. Nein, hier liegen zwei getrennte Situationen vor - gestaute Ladungen bei unterbrochenem (Elektrostatik) und fließende Ladungen beim geschlossenen Stromkreis. Für den stationären Strom ist ein solcher Ladungsstau völlig belanglos (er könnte, wie die Theorie lehrt, höchstens dort auftreten, wo sich die Leitfähigkeit ändert). Auch in einem homogenen Leiter mit überall zeitlich und räumlich konstanter Ladungsdichte ρ = 0 kann z.B. durch Induktion ein stationärer Strom entstehen. Hier führen manche gängige "Druckmodelle" in die Irre, auch wenn sie von manchen Lehrstühlen der Physik-Didaktik propagiert werden.
Man sollte also eine Stromquelle nicht so sehr als "Ladungsspender" sehen, sondern als Pumpe von vorhandenen Ladungen bzw. Lieferant von (Ersatz-)Energie zum Ausgleich von Energieverlusten, auch nicht als Ursache für einen Strom. So wie ein Körper sich bei fehlender Reibung ohne Kraft unverändert weiter bewegt, so fließt ein Strom bei fehlenden Energieverlusten unverändert weiter. Supraleitung ist das Standardbeispiel. |
Vielleicht denken die Vertreter der kritisierten Meinung (ohne es zu sagen) daran, dass nur den in einer Zeit dt bei einem stationären Strom I aus einem Pol heraus fließenden Ladungen Q = I·dt die "potenzielle Energie" mitgegeben wird, von der sie sprechen. Wenn man dann "potenzielle Energie" durch "Stromarbeit" ersetzt, schafft man den Übergang zur traditionellen korrekten Argumentation. Aber wozu soll man die Komplikation durch eine angeblich vorhandene potenzielle Energie erst einführen (mit ihren Zusatzforderungen wie Wegunabhängigkeit, an die potenzielle Energie nun mal gebunden ist), wenn es ohne sie viel einfacher geht?
Bei einem stationären Strom sind die Verhältnisse grundsätzlich anders als in der Elektrostatik (wozu hier auch das Problem der Entladung eines Kondensators gezählt werden soll). In der Elektrostatik ist das elektrische Feld (und damit auch die Spannungen) durch die vorhandenen (felderzeugenden) Ladungen bestimmt (div E = ρ mit Randbedingungen). Die Feldverteilung beim stationären Strom ist auch durch die Ladungen bestimmt, aber auch dadurch, dass sich der Strom eine Verteilung des elektrischen Feldes schafft, die mit seiner Bedingung (div j = 0) verträglich ist. Deswegen kann man Feldverteilungen bei Hochspannungsgeneratoren z.B. glätten mittels kleiner Ströme durch Hochohmwiderstände. Deswegen entstehen Spannungen, die eine Folge des Stroms sind (Spannungsabfälle an Widerständen), und deswegen gibt es selbst dann Spannungen, wenn gar kein Potenzialfeld vorliegt (in Form von Ringspannungen wie bei der Induktion oder einer Batterie mit stationärem Strom).
Ich würde also nach wie vor die traditionelle Spannungsdefinition über "Stromarbeit pro dabei transportierter Ladung" bevorzugen. Der Gebrauch des Arbeitsbegriffs ist ein traditioneller Trick, mit dem nur die Wirkung einer Energieänderung beschrieben werden, ohne jeden Bezug auf ihre Ursache oder den Mechanismus. Bemühungen, eine vermeintliche potenzielle Energie oder einen in Elektronen lokalisierten Energietransport zu diskutieren, werfen unweigerlich schwierige Fragen (für die Schule vielleicht zu schwierige Fragen) nach Details dieser Stromarbeit auf, die ich in der Schule vermeiden würde.
Hinweise:
1. In einem Glossar vom Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung ("Glossar_Elektrik_Elektrochemie.doc") findet man
Aussage des ISB |
mein Kommentar |
Spannung U
Die elektrische Spannung zwischen zwei Anschlüssen (z. B. den Polen einer elektrischen Energiequelle) ist die Ursache für den Stromfluss durch den angeschlossenen Verbraucher. Sie ist ein Maß für die Fähigkeit einer elektrischen Energiequelle, Ladungen durch den Stromkreis zu "pumpen". |
Der erste Satz ist genauso richtig (besser: genauso falsch) wie die Aussage:
"Kraft ist die Ursache für eine Bewegung". Supraleiter zeigen das z.B.
Hier fließt ein Strom ohne dauernde Spannung als Ursache. Nur bei
Energieverlusten im Stromkreis ist eine Spannung für den Stromfluss
nötig. Es gibt in der Schule andere Beispiele für Ströme ohne
Spannungen (z.B. Photostrom). Spannung - in Form des Spannungsabfalls an
einem Widerstand - kann auch die Folge eines Stroms sein
Den zweiten Satz würde ich selbst auch bei einer propädeutischen Einführung des Spannungsbegriffs als vorläufige Definition nutzen. Sie muss in späteren Phasen des Unterrichts verbessert werden. |
Maßeinheit: 1 V (Volt)
Die Spannung gibt an, wie viel Energie pro transportierter Ladung freigesetzt wird. Eine Ladung, die sich auf dem einen Pol einer elektrischen Energiequelle befindet, hat potenzielle Energie in Bezug auf den anderen Pol. |
Der erste Satz ist korrekt und entspricht der traditionellen Definition
über die Stromarbeit, z.B. nach DIN 1324.
Der zweite Satz gilt nur in der Elektrostatik und ist für den stationären Strom belanglos und überflüssig. |
Der elektrischen Spannung entspricht im Wassermodell der Druck, den die Wasserpumpe aufbaut. | Ist Druck leichter zu verstehen als Spannung? Ich bezweifle es. |
Durch den 2009 gültigen Lehrplan für Bayerische Gymnasien ist die Spannungsdefinition über "potenzielle Energie pro Ladung" nicht mehr abgesichert
2. Vergleichen Sie mit dem so genannten Bienen-Nektar-Modell: "Der Quotient "gelieferte Energiemenge E / (dabei transportierte) Ladungsmenge Q ist also ein Maß für die Stärke oder Spannung der Quelle" (Klammer von mir ergänzt, aber sinngemäß im Original enthalten) . Dort wird nicht behauptet, dass potenzielle Energie transportiert wird; es wird indirekt klar gesagt, dass nur von der "transportierten" Ladungsmenge die Rede ist. Das sieht also besser aus als die hier kritisierte Version. Es wird immer noch suggeriert, dass die Energie in den stromtransportierenden Ladungen konzentriert sei. Es wird offen gelassen um welche Energie es sich dabei handelt (offenbar nicht Feldenergie, deren Strömung durch den Poynting-Vektor beschrieben wird, was dann?). Es wird nur der Fall betrachtet, dass es eine (in der Batterie) lokalisierte Quelle dieser Energie gibt. Es wäre falsch, wenn bei den Schülern ankommen würde, dass die von den Elektronen transportierte Energie in den Elektronen, z.B. als potenzielle Energie, konzentriert sei. Fasst man "gelieferte Energiemenge" nicht als "transportierte" Energiemenge, sondern als "an den Verbraucher abgegebene" Energiemenge auf, würde diese korrekt der traditionellen Stromarbeit entsprechen. Aber: in einem realen Stromkreis wäre es belanglos, ob die stromtransportierenden Ladungen (energiebeladen) von der Stromquelle ausgehen und (energieentleert) in sie zurückkehren würden. Die Energie wird ja nicht von den Elektronen transportiert, sondern vom elektromagnetischen Feld. Fließende Elektronen vermitteln nur den Energietransport. Die Bienen müssen aber vollständig zwischen Nektarquelle und Bienenstock hin- und herfliegen um Nektar abzuliefern. U.U. würden in Realität viele Elektronen nie mit der Stromquelle oder dem "Verbraucher" in Kontakt kommen und trotzdem den Energietransport vermitteln. Bei Wechselstrom wackeln nur überall im Stromkreis vorhandene Elektronen auf einer Strecke von atomarer Größenordnung hin und her, "sehen" nie die Stromquelle oder den "Verbraucher" und vermitteln trotzdem den Energietransport gemäß dem Poynting-Vektor. Was würde der Vertreter dieses Modells im Fall der Induktion sagen, wo es nirgendwo im Stromkreis (natürlich außerhalb) eine solche Quelle von Energie gibt? Wird dann ein neuer Spannungsbegriff eingeführt? Wie?
Mit dem Trick der Stromarbeit können solche Fragen für den Unterricht vermieden werden. (Im Fall der Elektrostatik gibt es natürlich in der Regel eine solche Stromarbeit nicht. Diese ist aber eine Folge des vorhandenen elektrischen Feldes. Wenn eine Probeladung in das elektrische Feld gebracht würde, würde dieses eine Stromarbeit der üblichen Größe verrichten.)
Thesen:
1. Bei einem stationären Strom ist es - strenggenommen - in der Regel nicht möglich für Leitungselektronen eine potenzielle Energie zu definieren. Wenn sie eine potenzielle Energie hätten, wäre diese für den stationären Strom belanglos. Die beim stationären Strom beteiligte elektrische Energie ist (elektromagnetische) Feldenergie. 2. Obwohl beim unterbrochenen Stromkreis sich die beiden Pole der Batterie durch einen Überschuss unterschiedlicher Ladungen unterscheiden, spielt ein solcher beim stationären Strom keine wesentliche Rolle. Ob die Pole der Batterie geladen sind oder nicht, ist für den stationären Strom belanglos. Eine manchmal propagierte Annahme einer erhöhten Dichte negativer Ladungen zwischen Minuspol und benachbartem Anschluss des "Verbrauchers" erklärt nichts im Zusammenhang mit dem Spannungsbegriff, ist überflüssig und in der Regel nicht erfüllt. Die Stromquelle wirkt als Pumpe für im Stromkreis vorhandene Ladungen und als Energielieferant. 3. Man sollte eine Stromquelle nicht so sehr als Spender von Ladungen auffassen, als vielmehr als Pumpe, die im Stromkreis vorhandene Ladungen durch den Stromkreis pumpt und mit ihrer Vermittlung Energie zum "Verbraucher" pumpt. 4. Wie die Energie im Stromkreis transportiert wird, wird nach der Standard-Elektrodynamik durch den Poynting-Vektor beschrieben. Das muss in der Schule offen gelassen werden. Der Energietransport wird danach durch die sich bewegenden Ladungen vermittelt. Die transportierte Energie kann dabei nicht in den Elektronen lokalisiert werden. Besonders deutlich wird das bei einem Wechselstrom. 5. Ladungsanhäufungen gibt es nur an den Stellen des geschlossenen Stromkreises, an denen sich die Leitfähigkeit ändert, z.B. beim Übergang von einem guten Leiter zum schlechten Leiter eines Widerstands. Sie spielen für den stationären Strom keine wesentliche Rolle. Abgesehen von solchen Stellen ist die Ladungsdichte in einem stationären Stromkreis überall = 0 und räumlich und zeitlich konstant. |
Die Frage, wie im stationären Stromkreis Energie transportiert wird, ist für die Schule ein objektiv schwieriges Problem. Die Standard-Elektrodynamik erklärt es durch elektromagnetische Felder (Poynting-Vektor = Energiestromvektor), die in der Regel außerhalb der Leiter die Energie durch den Raum transportieren. Es ist möglich, den Energiestromvektor so umzudefinieren, dass die (Feld-)Energie in den Leitern transportiert wird. Wie weit das für die Schule sinnvoll ist, ist offen.
Früher war in der Schule ein qualitatives Modell für den Energietransport in Gebrauch: Energie werde durch elektromagnetische Felder transportiert, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten und die Energie von Elektron zu Elektron weiterreichen. Damit wurde dann erklärt, dass eine Lampe aufleuchtet, wenn die Elektronen noch gar nicht vom E-Werk zur Lampe gekommen sein können. Zur Veranschaulichung gab es sogar ein Magnetrollen-Modell. M.E. erfasste dieses Erklärungsmodell den Sachverhalt eher als das Gerede von der angeblich transportierten potenziellen Energie.