G46a Der so genannte "Welle-Teilchen-Dualismus" - ein überholtes historisches Konzept*) |
In der Anfangszeit der Quantenphysik bis Anfang der 30-er Jahre des letzten Jahrhunderts, bevor sich die heutige Quantentheorie etablieren konnte, versuchte man verschiedene Beobachtungen unter einen Hut zu bringen. Einerseits beobachtete man bei Licht wie bei Elektronenstrahlen Teilchenerscheinungen, andererseits Wellenphänomene. Interferenz von Licht- wie auch Elektronenstrahlen glaubte man nur durch Wellen erklären zu können, die man dann irreführend bei Elektronen Materiewellen nannte. Photoeffekt wie Millikan-Versuch wiesen auf Teilchen hin. Da man es gewohnt war, klassisch zu denken, glaubte man, Aussagen zum "Charakter" solcher Objekte gefunden zu haben. Man sprach also von einem "Wellen-" oder "Teilchencharakter" von Photonen wie von Elektronen oder anderer Materie, weil man fälschlicherweise annahm, dass man die Objekte nach den Regeln der klassischen Physik interpretieren müsse, einerseits als Wellen, andererseits als Teilchen. Wegen dieses Irrtums glaubte man Widersprüche gefunden zu haben, weil ja ein klassisches Objekt nicht zugleich eine Welle und ein Teilchen sein kann.
Unter Welle-Teilchen-Dualismus verstand man verschiedene Varianten der Vorstellung, dass Photonen oder Elektronen, je nach Experiment oder Situation, sich wie Wellen oder Teilchen "verhalten" oder gar Wellen oder Teilchen "seien".1)
Seit Etablierung der Quantentheorie in den dreißiger Jahren musste aber die Fiktion aufgegeben werden, dass die Objekte der Quantenphysik klassisch (so oder so) zu beschreiben seien. Man kann seitdem keine scheinbaren Widersprüche mehr erkennen.
Die zweispältige Haltung, dass man einerseits die Beobachtungen an Quantenteilchen zur Kenntnis nimmt, sie aber klassisch zu interpretieren sucht, ist heute weitgehend aufgegeben. Man entdeckte einen neuen Teilchenbegriff, das Teilchen im Sinne der Quantenphysik bzw. das Quantenteilchen. Es gibt noch andere Quantenobjekte.
Photonen, Elektronen, Neutronen, Atome, ... sind eindeutig Teilchen im Sinne der Quantenphysik (Quantenteilchen), aber keine klassischen Teilchen. |
Man fand heraus, dass Teilchen im Sinne der Quantenphysik nicht alle Eigenschaften zugleich haben können, die klassische Teilchen haben. Von einem klassischen Teilchen unterscheidet sich also ein Quantenteilchen z.B. dadurch, dass es nicht zugleich einen Impuls (eine Geschwindigkeit) und einen Ort haben kann (Komplementarität). Mit der in jeder Hinsicht hervorragend bestätigten Theorie war nur verträglich, dass Photonen, Elektronen, Neutronen, Atome, ... im Sinne der Quantentheorie Teilchen sind, aber eben keine klassischen Teilchen. Sie werden oft als Quantenteilchen bezeihnet.
Dagegen musste die nur wenige Jahre ernsthaft in Betracht gezogene Fiktion aufgeben werden, dass Teilchen unter bestimmten Umständen auch Wellen seien. Schon Born hatte 1926 herausgefunden, dass die Wellen, die tatsächlich in der Quantentheorie vorkommen, nur Aussagen machen über die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten von Messwerten und nicht etwa für eine Verteilung "verschmierter" Teilchen.
Die Wellen der Quantentheorie (Wellenfunktionen) sind keine realistischen Wellen im uns umgebenden Anschauungsraum, sondern abstrakte Wellen in einem abstrakten Konfigurationsraum. |
Die Wellenfunktionen im Sinne Schrödingers lassen sich auch nur mit komplexen Zahlen beschreiben, während klassische Wellen im Anschauungsraum messbar sind und durch reelle Zahlen beschrieben werden. Wellenfunktionen haben nur den Zweck, Vorhersagen für das Eintreten von Messwerten zu machen. Um Einteilchen-Interferenz zu erklären, muss man nicht auf einen vermeintlichen "Wellencharakter" zurückgreifen (in dem Sinn, dass das Teilchen in irgendeiner Situation eine Welle sei), weil das betrachtete Teilchen sich anders verhält als ein klassisches Teilchen. Einteilchen-Interferenz erwies sich als die Folge der Interferenz von klassisch denkbaren Möglichkeiten (für ein Teilchen), zwischen denen nicht unterschieden wird. Für das Quantenteilchen ist es ohne eine Messung physikalisch sinnlos, von einem Durchtrittsort durch den Doppelspalt zu sprechen, ganz gleich ob durch einen Spalt oder zwei Spalte. Nach einer Messung des Durchtrittsorts hat das Quantenteilchen aber z.B. nicht gleichzeitig den eindeutigen Durchgangsort und einen eindeutigen Querimpuls, der das Teilchen in ein bestimmtes Maximum der Interferenzfigur lenken würde.
Erfreulicherweise ermöglicht die Quantentheorie (z.B. mit Hilfe der Schrödinger-Gleichung oder der Heisenberg-Gleichung) dennoch gesetzmäßig die Vorherberechnung von Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten von Messwerten. Dazu sind die Wellenfunktionen gut.
Damit gibt es keinen Anlass mehr für die ursprüngliche Idee des Welle-Teilchen-Dualismus, dass sich Quantenobjekte unter bestimmten Umständen wie Teilchen, unter anderen wie Wellen "verhalten" sollten oder gar je nach Umständen Teilchen oder Wellen "seien". Nein, es gibt vielmehr Quantenobjekte, die Teilchen im Sinne der Quantentheorie sind, aber niemals Wellen. Es gibt andere Quantenobjekte (Mehrteilchen-Zustände, verschränkte Zustände) mit einer be-stimmten Teilchenzahl, die überhaupt kein klassisches Analogon haben (für die weder ein Wellen- noch ein Teilchenbild auch nur halbwegs passen würde), und es gibt Quantenobjekte (kohärente Zustände), zu denen nicht einmal eine be-stimmte Teilchenzahl gehört. Die letzteren Zustände ähneln klassischen Wellen im Anschauungsraum. Alle diese Objekte, Einteilchen-Zustände, Mehrteilchen-Zustände und kohärente Zustände, sind aber niemals "Wellenzustände" (im klassischen Sinn).
Modernere Ideen und Experimente schließen aus, dass sich Elektronen oder Photonen je nach Situation wie Teilchen oder wie Wellen "verhalten". Das sind Experimente mit verzögerter Entscheidung und Quantenauslöscher. Bei ihnen wird erst im Nachhinein - lange nach Ablaufen des Experiments - entschieden, ob - in unzulässiger klassischer Sprechweise - das Quantenteilchen die Apparatur "als Teilchen oder als Welle durchlaufen hat"! Lange nach Ablauf des Experiments wird noch entschieden, ob Interferenz beobachtet werden soll oder der Weg eines Teilchens!
Es gibt keinen
Welle-Teilchen-Dualismus im historischen Sinn!
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Sinnvoller als das Konzept des Welle-Teilchen-Dualismus ist ein Verständnis der Quantenphysik mit den hier dargestellten "Grundfakten". Die Frage "Teilchen oder Welle?" trifft seit Etablierung der Quantentheorie in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts nicht mehr den Kern der Problematik, weil mit Sicherheit und eindeutig Photonen, Elektronen, Atome, Neutronen, ... im Sinne der Quantenphysik Teilchen sind, weil die "Wellen" (im Sinne von Wellenfunktionen) keine Wellen im Anschauungsraum, sondern im abstrakten Konfigurationsraum sind, und weil sich die "Wellen" (im Sinne von Wellenfunktionen) nur auf die Vorhersage von Messergebnissen an Teilchen oder anderen Quantenobjekten beziehen.
Einen Vergleich von Teilchen im Sinne der Quantenphysik und von klassischen Teilchen finden Sie hier.
Zum Geburtsfehler der herkömmlichen Didaktik der Quantenphysik
Grob gesagt ist der Anlass für sie vielfach, dass Quantenteilchen Interferenz zeigen wie klassische Wellen. Heute spricht man eher - wie Zeilinger - von Einteilchen-Interferenz.
1) Ich argumentiere hier nicht gegen diese Auffassung der Wissenschaftler, sondern gegen die falsche Vorstellung, dass mit "Welle" oder "Teilchen" Wesensaussagen zu den Quantenobjekten gemacht werden sollen.