Zum Messprozess - was bedeutet Welcher-Weg-Information?

Würzburger Quantenphysik- Konzept

G42a Zum Messprozess beim modifizierten Doppelspalt - Was bedeutet "Welcher-Weg-Information"?

Welcher-Weg-Information

Verschränkte Zustände_1

Lehrtext/Inhalt

Glossar

Versuchsliste

Im- pres- sum

Nicht für Schüler vorgesehen:

Vor die Spalte eines Doppelspalts seien senkrecht zueinander orientierte Polarisationsfolien geklebt. Durchtretendes Licht wird horizontal und vertikal polarisiert (h- und v-polarisiert). Bei Durchstrahlung mit Laserlicht zeigt sich die breite Verteilung der Einfachspalt-Interferenz.

Stellt man einen unter 450 orientierten Analysator AN zwischen Doppelspalt und Schirm, entsteht die Verteilung der Doppelspalt-Interferenz, mit einer Intensitätsverteilung, die durch die Einfachspalt-Interferenz moduliert ist (siehe Quantenauslöscher).

Ist der Analysator AN in h-Richtung orientiert, zeigt sich ebenfalls Einfachspalt-Interferenz. Ebenso, wenn er in v-Richtung orientiert ist.

Die Versuche werden mit Laserlicht durchgeführt, d.h. mit im Mittel sehr vielen Photonen. Ähnlich sollten sich Versuche mit einzelnen Photonen verhalten. In diesem Sinne scheint es sich bei den Laserversuchen eher um Analogieversuche zu handeln, die natürlich auch klassisch erklärt werden können. Die Quantenelektrodynamik (QED) zeigt - wie es sein muss -, dass der Versuch auch mit einzelnen Photonen glückt, allerdings mit statistischen Streuungen: der Erwartungswert verhält sich wie bei klassischem Licht.

Man findet in der Literatur folgende Behauptung:

Die durch die Spalte hindurch tretenden Photonen sind durch die Polarisatoren (h und v) mit "Marken" versehen, aus denen der Durchtrittsort (im Prinzip) ermittelt werden könnte. Deshalb verschwindet die Doppelspalt-Interferenz. Entfernt man die "Marken" mittels des Analysators AN, entsteht wieder Doppelspalt-Interferenz.

Einwand von D. Ellerman:

Es liegt ein Trugschluss vor. Die Argumentation setzt fälschlich voraus, dass jedes Photon einen be-stimmten Durchtrittsort besitzt, der nur nicht immer bekannt ist. Tatsächlich liegt in der Spaltebene ein verschränkter Zustand zwischen Durchtrittsort (A oder B) und Polarisation vor (Normierungsfaktoren werden immer weggelassen; symbolische Rechnung):

                |A> |h> + |B> |v>

d.h. Durchtrittsort und Polarisation sind im verschränkten Zustand beide un-bestimmt. Sie überzeugen sich, dass die Situation so richtig beschrieben wird: Wenn ein Photon mit h-Polarisation gemessen wird, ist dieses im Zustand |A> (häufig wird gesagt: "sollte dies durch Spalt A gelaufen sein"), wenn ein Photon mit v-Polarisation gemessen wird, ist dieses im Zustand |B> (häufig wird gesagt: "sollte es durch Spalt B gelaufen sein"). Es kommt nicht vor, dass ein Photon mit h-Polarisation "durch Spalt B gekommen" ist. In diesem Stadium hat es keinen Sinn, ohne eine Messung von einem Durchtrittsort zu sprechen.

Durch den Analysator AN wird der verschränkte Zustand zerstört, es entsteht ein Produktzustand, bei h-Orientierung z.B. |A> |h>, bei v-Orientierung |B> |v>. Bei Orientierung unter 450 dagegen wird eine interferenzfähige Überlagerung der Zustände für be-stimmten Durchtrittsort erzeugt:

        (|A> + |B>) |450>   ,   entsprechend für -45.

D.h. es entsteht bei Schrägstellung Interferenz, aber keine kausale Rückwirkung auf den Durchtrittsort durch die Messung.

Kommentar:

(I) Ganz klar, Ellerman beschreibt m.E. richtig die Verhältnisse "beim Durchtritt". Ein Durchtrittsort  wird erst nach einer Messung be-stimmt. Es entsteht erst dann ein Zustand zu einem be-stimmten Durchtrittsort. Es gibt aber keine kausale Rückwirkung einer Messung auf den Durchtrittsort durch AN.

(II) Wir gehen aus vom verschränkten Zustand  |A> |h> + |B> |v> . Der Analysator AN sei in h-Stellung; wenn der verschränkte Zustand durch AN zerstört ist, kann trotzdem kein v-Photon passieren. Also wird  |A> |h> "gemessen"; das Photon befindet sich jetzt im Zustand |A> mit horizontaler Polarisation: Danach ist keine Doppelspalt-Interferenz mehr möglich. Analog umgekehrt. Zwar kann durch AN keine Rückwirkung auf den Durchtrittsort in der Vergangenheit erzwungen werden  (das wäre absurd), wohl aber auf den Zustand |A>, der sich bei der Messung einstellt ("so als sei das Quantenteilchen durch A getreten").

Das ist aber bei den meisten quantenphysikalischen Messungen genauso: Durch die Messung entsteht ein Zustand, der u.U. vorher nicht vorhanden war.

Entscheidet man also durch die Orientierung des Polarisators rückwärts über den Durchtrittsort? Wenn von WWI die Rede ist, scheint genau das gemeint zu sein. Vorstellbar ist das aber nicht. Dass das nicht so ungewöhnlich ist, sehen wir ein, wenn wir uns andere typische Messvorgänge anschauen.

Das ist mit "Gewinnung von WWI" gemeint:

sondern es wird ein Messwert und einer der Zustände realisiert, die früher, "beim Durchtritt", hätten möglich sein können. Beim Zeitpunkt der Messung und - solange keine weitere "Störung" passiert: von da ab - verhält sich das System so, als hätte es diesen be-stimmten Durchtrittsort gehabt.

So ist es aber auch bei anderen Messungen, besonders typisch bei Polarisationsmessungen: Nach dem Durchtritt des Photons durch den Polarisator kennt man den jetzigen und zukünftigen Zustand, solange keine "Störung" und Zeitentwicklung auftritt, aber i.A. keinen früheren. Vorher war die Polarisation i.A. un-bestimmt. Man kann also die frühere Polarisation eines Photons so nicht messen.

Allerdings, wenn man wüsste, dass in den Analysator bzgl. der Polarisation lauter einheitliche Photonen eintreten würden, erkennbar z.B. daran, dass alle Photonen auch durch AN treten und keine durch einen dazu senkrecht orientierten, dann würde man die Polarisation all dieser Photonen auch vor der Messung kennen.

Das gilt auch bei anderen Messungen: Bei einer Ortsmessung eines Atoms kennt man den jetzigen Ort, aber keinen früheren. Vorher war der Ort i.A. un-bestimmt. Durch die Messung wird er be-stimmt. Dieser Ort würde auch kurz danach noch gelten, wenn das Atom in der Zwischenzeit  nicht "gestört" würde oder wenn es keine Zeitentwicklung des Systems gäbe. Gleiches gilt z.B. für eine Impulsmessung.

Wenn man WWI in diesem Sinn versteht, ist die Heuristik des "Würzburger Quantenphysik-Konzepts" (zwar mit einem verführerischen, aber auch üblichen Begriff formuliert) jedoch korrekt:

WWI und Interferenz sind komplementär.

Obwohl ein "Mechanismus" der WWI tatsächlich problematisch ist, möchte das heuristische Konzept des WQPK eben nicht auf alle quantenmechanische Details eingehen. WWI wird auf die verschiedensten Weisen, aber wohl immer mit einer Einschränkung wie oben, realisiert, dennoch scheint das Schlagwort "WWI zerstört Interferenz" mit dem so verstandenen Sinn immer zu passen.

WWI bedeutet aber nicht Kenntnis des "wahren" (im klassischen Sinn) Durchtrittsorts, der ja "beim Durchtritt" ohne eine Messung nicht existiert. Dies muss bei der Interpretation von "delayed choice"-Experimenten ebenfalls berücksichtigt werden.

Die unsinnige Frage, ob Photonen Teilchen- oder Wellencharakter haben sollten, kann man mit dem Analysator AN natürlich erst recht nicht entscheiden, obwohl manchmal genau das behauptet wird (fehlende Doppelspalt-Interferenz wird fälschlich mit einem Teilchencharakter in Verbindung gebracht). Aber man kann ein Interferenz-Experiment oder ein Welcher-Weg-Experiment im diskutierten Sinn durchführen.

Kann man den Durchtrittsort eines Quantenteilchens durch einen Doppelspalt messen?

Für einen klassisch denkenden Physiker ist die Sache wohl klar: Man stelle einen Detektor unmittelbar hinter den einen Spalt A, und wenn er anspricht, so glaubt man in der Regel, das Objekt sei durch den Spalt A gelaufen. Für klassische Teilchen wäre das richtig. Bei Quantenteilchen muss man vorsichtiger sein.  Die Schwierigkeit ist die, dass ein solcher Durchtrittsort i.A. un-be-stimmt ist. Ein solcher be-stimmter Ort kann i.A. erst existieren, wenn er gemessen ist, z.B. durch einen Detektor.  Hinter dem Doppelspalt entwickelt sich aber ein Überlagerungszustand mit beiden Möglichkeiten zunächst weiter mit un-be-stimmtem Durchtrittsort, bis durch die Messung für eine der Möglichkeiten entschieden wird. Von da ab entwickelt sich der gemessene Zustand ohne Interferenz weiter, wenn das (Quanten-)Teilchen nicht gar absorbiert wird, wie es in der Regel der Fall ist.

Nimmt man aber in einem Gedankenexperiment plötzlich den Detektor hinter dem einen Spalt heraus, "kurz nachdem" das Quantenteilchen "durch den Doppelspalt getreten" ist (was immer das heißen soll; was bedeutet wohl "Zeitpunkt des Durchtritts"?), entwickelt sich der Überlagerungszustand noch weiter, erkennbar daran, dass es in einiger Entfernung zur Interferenz kommt. Offenbar haben die beiden Versuchsvarianten nichts mit einem "wahren" Durchtrittsort zu tun, den es nicht gibt, weil die Situation "beim Durchtritt" und kurz danach in beiden Fällen dieselbe ist.

Was weiß man also, wenn der Detektor hinter Spalt A anspricht? Nur, dass jetzt das Quantenteilchen in einem Zustand |A> ist, als wäre es durch den Spalt A gekommen, und dass es, wenn es nicht absorbiert wird, in diesem Zustand verbleibt, solange keine äußere "Störung" eintritt. Es ist nicht mehr interferenzfähig.

Wenigstens so, mit einem Detektor unmittelbar hinter dem Doppelspalt, kann man den "wahren" Durchtrittsort ("zum Zeitpunkt des Durchtritts") also nicht bestimmen, obwohl sich vom Zeitpunkt der Messung ab das Quantenteilchen in einem be-stimmten Zustand befindet, z.B.  "so als ob es durch Spalt A getreten sei". Um die Entscheidung dessen geht es.

Die Messung unterbricht die interferenzfähige Zeitentwicklung. So wird die Interferenz bereits durch die Anwesenheit des Detektors vor einem Spalt blockiert. Wenn WWI wie oben aufgefasst wird, passt auch das zur Regel "WWI und Interferenz sind komplementär".

Ein mathematischer Beweis für die heuristische Aussage "WWI und Interferenz sind komplementär" ist ohnehin nicht bekannt. Es handelt sich um eine Erfahrungstatsache, wenn man WWI im obigen Sinne interpretiert.


* bedeutet dabei konjugiert komplex, nötig für den Betrag bzw. das Skalarprodukt.


Formal:

 (   |A> |h> + |B> |v> ) |h> =   |A> |h> |h> + |B> |v> |h> =   |A> |h> |h> =  |A> |h>, da    |v> |h> = 0 wegen der Orthogonalität von |v> |h>, da kein Photon durch senkrecht orientierte Polarisatoren treten kann. Analog:

 (   |A> |h> + |B> |v> ) |v> =   |A> |h> |v> + |B> |v> |v> =   |B> |v> |v> =  |B> |v>

Berechnen wir jetzt das Betragsquadrat des Ortsanteils, also die Wahrscheinlichkeit für den Nachweis eines Photons an irgendeinem Ort des Schirms, nachdem es durch |A> oder |B> getreten ist (eigentlich wichtige Phasenfaktoren, die mit Gangunterschieden zusammenhängen und zu Maxima und Minima führen, sind weggelassen)

(|A> + |B>)*(|A> + |B>) = (<A| + <B|)(|A> + |B>) = <A||A> + <B||B> + ( <A||B> + <B||A>) = |A|2 + |B|2 + ( <A||B> + <B||A>)

mit dem Interferenzterm <A||B> + <B||A> = 2 Re( <A||B> )    (Re: Realteil, wegen <A||B> = <B||A>*).

Das ist die gewöhnliche Interferenz eines Überlagerungszustands.


https://arxiv.org/pdf/1112.4522.pdf (D. Ellerman, A Very Common Fallacy in Quantum Mechanics ... ). Durch den Text http://www.mikomma.de/optik/queraser/quantenradierer.htm bin ich auf die Ellerman-Arbeit aufmerksam geworden.


( August 2018,  gekürzt November 2018)