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SG110c Ein-/Ausschaltvorgänge bei der Spule: Technische Ergänzungen

© H. Hübel Würzburg 2013

Induktionsgesetz

Induktivität

Glossar

Physik für Schülerinnen und Schüler


Wie kann man die Induktionsspannung messen?

Mathematisches für Experten - Lösung der DGL


Hinweis zu einer modifizierten Untersuchung mit einer Rechtecksspannung aus einem Funktionsgenerator (FuGe)


Zugrunde liegt eine Schaltung nach Abb. 2 bzw. 3 von SG110.

R bzw. R' sind die jeweiligen Gesamtwiderstände, durch die der Spulenstrom beim Einschaltvorgang bzw. beim Ausschaltvorgang fließt. I.A. sind R und R' unterschiedlich.


Wie kann man die Spannung an der Spule (Uind = - ULmessen?

Dazu musst du ein paar Überlegungen anstellen:

Beim Einschaltvorgang:

1. Einfach wird die Messung, wenn der Innenwiderstand Ri der Spule vernachlässigbar ist gegenüber R1. Dann ist beim Einschalten einerseits in guter Näherung UL = UB - I·R1, und UL kann rechnerisch aus UB und dem Spannungsabfall an R1 bestimmt werden. Andererseits kann UL in diesem Fall als Spannung zwischen den Enden der Spule näherungsweise direkt gemessen werden.

2.a Wenn der Innenwiderstand der Spule nicht vernachlässigbar ist, muss auch der Spannungsabfall am Innenwiderstand Ri berücksichtigt werden: UL = UB - I·(R1 + Ri) ermöglicht wieder die rechnerische Bestimmung von UL bei bekanntem Innenwiderstand Ri. (Für den oben erwähnten Gesamtwiderstand R gilt jetzt R = R1 + Ri).

In diesem Fall ist die Spannung zwischen den Enden der Spule die untrennbare Summe von UL und I·Ri . UL ist nicht direkt messbar.

Das erklärt auch, weshalb zwischen den Enden der Spule immer die konstante Batteriespannung UB liegt, wenn R1 = 0, obwohl eine zeitlich veränderliche Induktionsspannung entsteht.

2.b Mit einem Trick kommt man auch ohne diese Kenntnis aus:

Der Widerstand R1 wird durch einen regelbaren Widerstand ersetzt. Dieser wird lange nach dem Einschalten (also, wenn die Induktion abgeklungen ist) bei geschlossenem Schalter so eingestellt, dass die Spannung an der Spule und der Spannungsabfall am regelbaren Widerstand gleichen Betrag haben. Die Differenz beider Spannungen ist dann 0 (R1 = Ri).

Mit Induktion ist dann die messbare Spannung zwischen den Enden der Spule  UL + I·Ri = UL + I·R1; davon wird I·R1 im Messinterface elektronisch subtrahiert mit dem Ergebnis UL.

Konkret: Es wird die Differenzspannung zwischen zwei Eingängen des Messinterfaces gemessen, wobei der Mittelabgriff zwischen Spule und Potentiometer als Masse gewählt wird. Lange nach dem Einschalten wird das Potentiometer so eingeregelt (UL = 0), dass die Differenzspannung 0 ist. Dann ist die Spannung an R1 gleich dem Spannungsabfall am Innenwiderstand, der durch die Differenzspannungsmessung von der Spannung an der Spule subtrahiert wird. Die Differenzspannung kann vielfach auch mit einem Oszilloskop gemessen werden.

Beim Ausschaltvorgang gilt zwar UL =  I·(R1 + R2 + Ri), aber die Spannung an der Spule ist immer noch UL + I·Ri. Der Spannungsabfall I·Ri wird in gleicher Weise wie beim Einschalten durch I·R1 gemessen und subtrahiert.

3. Am einfachsten ist es, wenn man die Schülerversuchsspule (Drossel mit 2 x 0,1 H und 2 x 1,5 ?) verwendet. Sie enthält auf dem gleichen Ferritkern zwei identische Wicklungen. Die Änderung des magnetischen Flusses im Kern ist in gleicher Weise verantwortlich für die Selbstinduktionsspannung in der Primärwicklung wie für die Induktionsspannung in der Sekundärwicklung. Deshalb kann an ihr die Selbstinduktionsspannung bzw. die gleich große Induktionsspannung direkt abgegriffen werden.


Ein Beispiel mit einem Messversuch zeigen Abb. 4 und 5 von SG110 .

(Achte darauf, dass die Selbstinduktionsspannung beim Ausschalten die zulässige Eingangsspannung des Messinterfaces nicht überschreitet!  Beachte die unterschiedlichen Vorzeichen der Selbstinduktionsspannung! Sie erfordern evtl. bipolare*) Messung im Messinterface! )

*) Bipolar bedeutet hier, dass die Spannung positive wie negative Werte haben kann. Viele Messinterfaces sind nur für die Messung nichtnegativer Spannungen ausgelegt. In diesem Fall braucht man eine Schaltung, die eine konstante Gleichspannung addiert, damit alle Spannungen im nichtnegativen Bereich bleiben ("Pegelanheber").


Gesetzmäßigkeiten: mathematischer Ausblick für Experten

Zur Erinnerung: R = R1 +  Ri  bzw. R' = R1 + R2 + Ri) sind die jeweiligen Gesamtwiderstände, durch die der Spulenstrom beim Einschalten bzw. beim Ausschalten fließt (Abb. 2 und 3).

I Induktionsgesetz und Spannungsbilanz bilden eine Differenzialgleichung (DGL):

1. Einschaltvorgang

Zur Zeit t = 0 werde der Schalter geschlossen, beginne also der Einschaltvorgang. Sehr viel später, zur Zeit t = t1 , werde der Schalter wieder geöffnet. Für den Einschaltvorgang ist - mit dem Innenwiderstand Ri der Spule - der gesamte, vom Spulenstrom durchflossene Widerstand R = Ri + R1.

Für den Einschaltvorgang gelte die Spannungsbilanz (bzw. entsprechend, die Maschenregel):

(1) UB + Uind = I·R

Mit dem Induktionsgesetz 

(2) Uind = - L·dI/dt

wird daraus eine Differenzialgleichung (DGL):      ( aus Gl. (3):   dI/dt = UB/L - I·R/L    also     dI/dt = UB/L, wenn I = 0)

(3)   I·R + L · dI/dt = UB

(entspricht Gl. (2b) in einem früheren Text)


2. Ausschaltvorgang

Für den Gesamtwiderstand, der vom Spulenstrom durchflossen wird, gilt jetzt R' = R + R2. Die DGL lautet (da in Gl (3) UB auf 0 gesetzt wird):

(3")   I·R' + L · dI/dt = 0

    

II a) Errate eine Lösung der DGL mit einem geeigneten Ansatz

Von der Lösung der DGL sind folgende Werte von Stromstärke und Induktionsspannung bekannt (der Pfeil => bedeutet: strebt gegen):

Einschaltvorgang:

1. t = 0:  I(t=0) = 0,  und  Uind(t=0) = - UB

2. t = t1:  I( t1) = I1 und für sehr großes t1 I( t1) = UB/R  und  Uind(t=>t1) => 0

Ausschaltvorgang:

1. t = t1:   I(t1) =  I1 = UB/R   und    Uind(t=t1) = UB · R'/R   (für sehr großes t1: t1 => ),

2. t => ∞: I(t => ∞) => 0        und    Uind(t=>) => 0


Erfahrungsgemäß wird ein langsames Annähern an 0 durch eine Exponentialfunktion beschrieben, wir verwenden also versuchsweise den Ansatz exp(-t/T), wobei die Zeit T noch zu bestimmen ist.

Für den Einschaltvorgang liegt also der Ansatz nahe:

                I(t) = UB /R · [1 - exp(-t/T)] .

Da exp(-t/T) => 0 für t => ∞ werden also die beiden festen Werte I(t=0) und I(t) = I1 => UB /R  für t => ∞ richtig beschrieben. Wir bestimmen T mit dem Induktionsgesetz: Uind (t=0) = - L·dI/dt = - L/T·UB/R. Da diese Spannung - UB sein muss, ergibt sich T = L/R.

Die Probe mit der Spannungsbilanz bzw. der Maschenregel bestätigt endgültig unseren Ansatz. Für die Induktionsspannung im Laufe der Zeit erhalten wir: Uind (t) = - L·dI/dt = - L/T·UB/R · exp(-t/T) wobei T =  L/R, also

                Uind (t) = -UB exp(-t/T)       mit     T = L/R.

Für t => strebt also  Uind (t) => 0, für t = 0 ist Uind (t) = -UB.

Ähnlich machen wir für den Ausschaltvorgang (t >= t1) den Ansatz:

                I(t-t1) = UB/R · exp[-(t-t1)/T'] 

(der Startwert bei t = t1 ist wegen der Stetigkeitsbedingung I(t=t1) = UB /R. Für t >> t1 strebt I(t) => 0. Der Ausschaltvorgang beginnt zur Zeit t = t1. Alle weiteren Zeiten sind auf diesen Zeitpunkt bezogen; deswegen die Differenz t-t1.)

Es gilt dI/dt = - I(t)/T' . Dieser Strom muss durch den Gesamtwiderstand R'  fließen; deswegen die geänderte Zeit T'. Aus der Spannungsbilanz erhalten wir

               Uind =  I·R' 

= - L·dI/dt = + L/T'·I, also T' = L/R' und Uind =  UB/R · R' · exp[-(t-t1)/T'] , also

                Uind UB· R'/R · exp[-(t-t1)/T']      mit        T' = L/R'

und für t = t1 : Uind(t1) = UB R'/R > UB. Wegen des positiven Vorzeichens ist das eine "Mitspannung", die wegen  R' > R die Betriebsspannung übersteigt. Uind und  I sind zueinander proportional und haben also die gleiche Zeitabhängigkeit.


II b) Löse die Differenzialgleichung (DGL) mit einem Standardverfahren

1. Einschaltvorgang

Zur Zeit t = 0 werde der Schalter geschlossen, beginne also der Einschaltvorgang. Sehr viel später, zur Zeit t = t1 , werde der Schalter wieder geöffnet. Für den Einschaltvorgang ist - mit dem Innenwiderstand Ri der Spule - der gesamte, vom Spulenstrom durchflossene Widerstand R = Ri + R1.

Für den Einschaltvorgang gilt die Differenzialgleichung (DGL):

( 3)   I·R + L · dI/dt = UB        

Weil UB ≠ 0, handelt es sich um eine lineare inhomogene DGL für I mit konstanten Koeffizienten. Sie hat beliebig viele Lösungen (die so genannte "allgemeine Lösung"). Die Anfangsbedingung I(t=0) = 0 wählt davon eine bestimmte aus. Nach der Theorie der linearen DGL erhält man die allgemeine Lösung der inhomogenen DGL als Summe einer beliebigen speziellen Lösung der inhomogenen DGL und der allgemeinen Lösung der homogenen DGL:

(3') I·R + L · dI/dt = 0.

Sie wird z.B. gelöst durch den Ansatz I(t) = A·exp(-t/T), also auch dI(t)/dt = - I(t)/T, daraus

(3")  I(t)·R - L·I(t)/T = 0 . Weil dies für alle Zeiten t gelten soll, muss 1/T = R/L bzw. T = L/R sein. Variiert man A, erhält man alle Lösungen der homogenen DGL.


Eine spezielle Lösung der inhomogenen DGL kann erraten werden, z.B. I = UB/R. Damit also

(4)   I(t) = A·exp(-t/T) + UB/R .

Jetzt wendest du die Anfangsbedingung an: I(t=0) = A + UB/R = 0. Also A = - UB/R . Damit erhältst du

(4')   I(t) = UB/R · [1 - exp(-t/T)]   ,            wobei T = L/R.

Diese Lösung genügt allen unseren Überlegungen:

Für t = 0 verschwindet die Stromstärke: I(t=0) = 0  . Für t => ∞ nähert sie sich asymptotisch dem Maximalwert I1 = UB/R .  Die Spitzen-Induktionsspannung bei t = 0 ist Uind = - UB (nach Gl. 1).  Bei t = 0 haben Uind und Uunterschiedliches Vorzeichen: Uind ist eine Gegenspannung zu UB.  


2. Ausschaltvorgang

Für den Gesamtwiderstand, der vom Spulenstrom durchflossen wird, gilt jetzt R' = R + R2. Die DGL lautet

(3')   I·R'+ L · dI/dt = 0  .

Es ist eine lineare homogene DGL mit konstanten Koeffizienten, die mit der Anfangsbedingung I(t = t1) = I1 = UB/R zu lösen ist, weil die Stromstärke keine Sprünge macht (Stetigkeitsbedingung).

Der Ansatz I(t) = A·exp(-t/T') führt ähnlich wie früher auf T' = L/R', diesmal aber mit dem vergrößerten Gesamtwiderstand R'. A erhältst du durch die Anfangsbedingung

I(t = t1) = A·exp(-t1/T') =  UB/R , also  A = UB/R · exp(t1/T'). Es folgt

I(t) = UB/R  · exp(t1/T') · exp(-t/T') = UB/R · exp[-(t-t1)/T']   für t ≧ t1

Für t = t1 folgt also der Anfangswert I(t = t1) = I1 = UB/R , für t => ∞ fällt I(t) exponentiell gegen 0. Weil dI/dt = - I(t)/T' folgt für die Induktionsspannung Uind = - L · dI/dt = - UB · R'/R · exp[-(t-t1)/T']   für t ≧ t1, und also die Spitzenspannung für t = t1:

Uind(t = t1) = - UB · R'/R.

Uind und UB haben unterschiedliches Vorzeichen. Weil R' > R, übersteigt der Betrag von Uind den von UB. Der Exponentialfaktor exp(-t/T') mit T = L/R' lehrt, dass für den Ausschaltvorgang Uind schneller auf 0 abfällt als Uind für den Einschaltvorgang auf UB anwächst (T' < T).


II c) Was ist das für eine Zeit T = L/R bzw. T' = L/R'?


Beim Einschaltvorgang gilt  dI/dt = UB/L - I·R/L, also dI/dt = UB/L, wenn I = 0 bzw. für t = 0: dI(t=0)/dt = UB/R · R/L = UB/R · 1/T. Das ist die Anfangssteigung der t-I-Funktion. Für die Tangente im Nullpunkt gilt also

                I = UB/R · t/T.

Die Tangente erreicht den Sättigungsstrom UB/R bei t = T. Damit haben wir die Deutung von T:

T ist diejenige Zeit, nach der die Stromstärke den Sättigungsstrom UB/R erreichen würde, wenn sie sich längs der Tangenten (im Ursprung) verändern würde.

T = L/R wird "charakteristische Zeit für den Einschaltvorgang" (manchmal auch Zeitkonstante) genannt, weil sie ein Maß dafür ist, wie schnell die Stromstärke ansteigt. Sie hängt von der Induktivität L und dem Gesamtwiderstand R des Zweigs ab, in dem der Spulenstrom fließt. Sie kann dazu dienen, für ein Experiment eine günstige Kombination von L und R auszuwählen, aber auch zur Messung von L.

Ganz entsprechend gilt beim Ausschaltvorgang dI(t)/dt = - I(t)/T' , und bei t = t1:   dI(t)/dt = - UB/R · 1/T'.

Ganz entsprechend gilt beim Ausschaltvorgang dI(t)/dt = - I(t)/T' , und bei t = t1:   dI(t)/dt = - UB/R · 1/T'.

T' ist - ausgehend vom Sättigungsstrom UB/R - diejenige Zeit, nach der die Stromstärke den Strom 0 erreichen würde, wenn sie sich längs der Tangenten zum Zeitpunkt des Schalteröffnens verändern würde.

T' = L/R' wird "charakteristische Zeit für den Ausschaltvorgang" genannt, weil sie ein Maß dafür ist, wie schnell die Stromstärke von ihrem Maximalwert abfällt. Sie hängt von der Induktivität L und dem Gesamtwiderstand  R' des Zweigs ab, in dem der Spulenstrom fließt. T' =  L/R' < T = L/R, weil R' = R + R' > R.

Der Strom fällt beim Ausschalten schneller ab, als er beim Einschalten ansteigt.

Dass T' mit zunehmender Induktivität L wächst, passt zur Überlegung, dass bei größerem L mehr magnetische Energie in der Spule gespeichert werden kann. T' fällt mit zunehmendem Gesamtwiderstand R'. Das passt gut dazu, dass mit zunehmendem Gesamtwiderstand R' die magnetische Energie schneller "aufgebraucht" wird.

Aus dem t-I-Diagramm lassen sich so T und T' leicht graphisch entnehmen (Abb. 6) links mit dem Ergebnis T = 0,002 s und T' = 0,001 s).



Warnung: Es gibt im Internet so genannte "Erklärvideos" von Firmen, deren Autoren die Vorgänge bei der Selbstinduktion nicht verstanden haben. Lass' dich von ihnen nicht in die Irre führen. So kannst du kein Einserschüler werden! Man hat den Eindruck, dass es solchen Firmen mehr darum geht, Werbung unterzubringen.



Hinweis zu einer modifizierten Untersuchung mit einer Rechtecksspannung aus einem Funktionsgenerator (FuGe)

Hierdurch wird der Schalter überflüssig. Der Stromzweig über R' für den Ausschaltstrom kann weggelassen werden, da dieser durch den FuGe fließen kann. Dann sollte allerdings der Ausgangswiderstand  Ra des FuGe berücksichtigt werden. Der Einschaltstrom fließt jetzt zusätzlich durch Ra. Der Gesamtwiderstand enthält also zusätzlich Ra. Ra vermindert die charakteristische Zeit T, während T' unverändert bleibt, weil der Ausschaltstrom nicht durch den FuGe fließen kann.  Benutzt man den Leistungsausgang des FuGe, ist Ra häufig gegenüber anderen Widerständen im Stromkreis vernachlässigbar.


( Juni 2014; Ergänzungen Dez. 2020; weitere Ergänzungen April 2021; Mai 2021: Fehler im Zush. mit FuGe ausgebessert; Mai 2022: Vorzeichenfehler beseitigt )