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Welcher-Weg-Information und verzögerte Entscheidung |
Interferenz-Experimente beruhen grundsätzlich darauf, dass zwischen zwei oder mehr klassisch denkbaren Möglichkeiten, die zu einer Beobachtung beitragen können, nicht unterschieden wird.
Typischerweise sind das Experimente, bei denen das Ereignis auf verschiedenen klassisch denkbaren Wegen eintreten könnte, wie z.B. beim Doppelspalt oder bei einem Mach-Zehner-Interferometer. Manchmal wird der Begriff "Weg" auch allgemeiner benutzt, z.B., wenn Zustände unterschiedlicher Energie, also auf unterschiedlichen "Energiewegen" interferieren.
Auch in solchen Fällen mit zwei oder mehr klassisch denkbaren Möglichkeiten lässt sich der "Weg", auf dem das Ereignis eingetreten ist, z.B. der Durchtrittsort durch einen Doppelspalt, immer experimentell ermitteln. Man findet - bei hinreichender Messgenauigkeit - nie einen Durchtritt bei beiden Spaltöffnungen zugleich, sondern entweder bei der einen oder bei der anderen. Stets aber wird beobachtet, dass in einem solchen Fall die Interferenz verschwindet:
Welcher-Weg-Information ("which-way-information") und Interferenz schließen sich gegenseitig aus, "sie sind komplementär zueinander". |
Man möge sich aber vor "Schwarz-Weiß-Malerei" hüten: Es wird auch beobachtet, dass bei nur ungefährer Kenntnis des vom Teilchen gewählten Wegs die Interferenzfigur nicht vollständig verschwindet, aber undeutlicher, "verwaschener" wird; umso "verwaschener", je genauer die Welcher-Weg-Information.
Diese Aussage muss kritisch gesehen werden: Durch eine WWI-Messung erhält man immer eine Antwort auf die Frage "Teilchen, durch welchen Spalt bist du getreten?" Ob die etwas mit einem "wahren Durchtrittsort" zu tun hat, ist fraglich. Was könnte so etwas wie ein "wahrer Durchtrittsort" sein?
In der Literatur findet man dazu 2 Experimente:
1. der modifizierte Doppelspalt-Versuch mit 2 Polfiltern und einem Analysator:
Die beiden Spalte werden mit Polfiltern PO unterschiedlicher Polarisation überdeckt, z.B. mit senkrecht orientierten. Das Licht, das durch sie hindurchtritt, fällt dann durch einen Analysator AN. Je nach dessen Orientierung ist Interferenz beobachtbar oder auch nicht.
2. das Mach-Zehnder-Interferometer:
Licht (Photonen) tritt durch einen idealen Strahlteiler und wird durch Spiegel so abgelenkt, dass es in je einem Detektor registriert werden kann.
Alternativ werden durch einen zweiten Strahlteiler beide "Laufwege" wieder zusammengeführt. Die Laufstrecken können dann so eingestellt werden, dass alles Licht/alle Photonen in genau einem der beiden Detektoren registriert werden.
Von Wheeler wurde eine Variante als Gedankenexperiment vorgestellt: Dabei sollte der 2. Strahlteiler erst dann eingefügt werden, wenn die Photonen bereits den ersten Strahlteiler verlassen hatten.
Irrtümliche, aber häufig zu lesende Deutung:
1. Beim Doppelspalt-Versuch hat Licht aus jedem Spalt unterschiedliche Polarisation. Angebliche Welcher-Weg-Information (durch Spalt A oder durch Spalt B) ist durch die Polarisationen unterschiedlich markiert. Die Photonen unterscheiden sich; deswegen können sie nicht interferieren. Trennt man aber die Wegmarke durch den Analysator AN ab (entfernt man das Unterscheidungsmerkmal) sind die Photonen wieder interferenzfähig, wenigstens bei bestimmten Orientierungen von AN. Bei zwei Einstellungen blockt AN eine der beiden Sorten. Durch die Orientierung kann man so willkürlich Doppelspalt-Interferenz oder nur Einfachspalt-Interferenz einstellen.
Man geht bei dieser Deutung davon aus, dass die Photonen wie klassische Teilchen einen bestimmten Durchtrittsort durch den Doppelspalt haben, erkennbar an der Polarisation. Bei bestimmten Orientierungen von AN sagt man, Photonen haben als Teilchen den Doppelspalt verlassen. Klassische Teilchen können nicht interferieren. Bei Schrägstellung von AN kann es dagegen zur Interferenz kommen. Licht sei jetzt wie eine klassische Welle durch den Doppelspalt getreten. Man sagt jetzt: die Photonen haben den Doppelspalt als Welle verlassen. Photonen zeigen sich demnach angeblich als Teilchen oder als Welle, je nachdem, wie AN orientiert ist.
Im Gedankenexperiment verschärft man die Situation. Man setzt den Analysator AN erst ein, "wenn die Photonen den Doppelspalt bereits verlassen haben". Dann könnte man nachträglich ("mit verzögerter Entscheidung"; lange nach Durchtritt durch den Doppelspalt) festlegen, ob "die Photonen als Teilchen oder als Wellen den Doppelspalt verlassen" haben. Das ist absurd.
2. Im Mach-Zehnder-Interferometer ist die Situation ähnlich. Ohne den zweiten Strahlteiler laufen die Photonen ohne Interferenz wie klassische Teilchen auf unterschiedlichen Wegen in die jeweiligen Detektoren. Mit dem zweiten Strahlteiler läuft jedes Photon wie eine Welle durch das Interferometer ("auf beiden Wegen") und je nach Länge der Laufstrecke entsteht ein Minimum oder ein Maximum in einem der Detektoren. Durch Einsetzen des 2. Strahlteilers kann man so angeblich nachträglich ("rückwirkend") entscheiden, ob "ein Photon als Teilchen oder als Welle das Interferometer durchlaufen" hat. Auch das ist absurd.
Ein Ausweg ist die Deutung, dass die Photonen eine bestimmte Polarisation bzw. einen bestimmten Weg erst durch den Nachweis auf dem Schirm oder im Detektor erhalten.
In der heutigen Ausformung der Quantentheorie (Quantenelektrodynamik) lässt sich das auch mathematisch beweisen (vgl. Buch: Photon). Danach verlassen die Photonen den Doppelspalt mit un-be-stimmter Polarisation (also in einer Überlagerung der beiden möglichen). Der Weg ist dann ebenfalls un-be-stimmt. Daran ändert sich nichts, bis sie den Analysator verlassen haben. Auch Vorhandensein oder Orientierung des Analysators hat darauf keinerlei Einfluss. Erst beim Durchtritt nehmen sie die Polarisation des Analysators an, wird ihre Polarisation be-stimmt. Stimmt diese mit einer der beiden Möglichkeiten überein, können nur die passenden Photonen durchtreten (keine Interferenz). Wie bei klassischen Teilchen könnten wir sagen "auf dem zugehörigen Weg". Andernfalls liefern beide Möglichkeiten einen Beitrag zur Polarisation des Analysators. Es kommt zur Interferenz, so als hätte es - in klassischer Sprechweise - zwei "Laufwege" gegeben.
Ähnlich ist beim Mach-Zehnder-Interferometer in der Wheeler'schen Variante un-be-stimmt, auf welchem "Weg" die Teilchen in den Detektor gelangen. Es macht keinen Sinn, von einem Laufweg zu sprechen, oder vereinfacht: es gibt keinen Laufweg. Das gilt immer, ob nun der 2. Strahlteiler vorhanden ist oder nicht. Ohne zweitem Strahlteiler kann in jeden Detektor nur eine bestimmte der beiden Sorten von Photonen gelangen: keine Interferenz, wie bei klassischen Teilchen. Mit zweitem Strahlteiler sind beide Sorten von Photonen beteiligt: Interferenz.
In beiden Experimenten kann keine Rede davon sein, dass Photonen "als Teilchen oder als Wellen" die Anordnung durchlaufen, oder gar, dass sie Teilchen oder Wellen seien. Beim Doppelspalt gibt es in keinem Fall einen "Weg" durch den Doppelspalt, beim MZI macht es in keinem Fall einen Sinn, von einem "Laufweg" und einem bestimmten "Charakter" der Photonen zu sprechen.
Es ist nicht zu klären, wie die Photonen von der Quelle zum Nachweisgerät gekommen sind. Man sollte nicht - wie es in populärwissenschaftlichen Texten häufig der Fall ist - von solchen "Wegen" oder "Charakteren" sprechen.
Die spektakulären vermeintlichen Kuriositäten der Quantenphysik treten nur auf, wenn man klassische Teilchen oder Wellen unterstellt. Quantenobjekte haben nun mal nicht alle Eigenschaften, die klassische Objekte haben.