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© Horst Hübel Würzburg 2005 - 2014

Elektrische Energie - physikalisch/technisch und umgangssprachlich

Übersicht

Der Begriff "elektrische Energie" wird in der Umgangssprache anders angewendet als in der Physik oder Elektrotechnik. Hält man beide Varianten nicht auseinander, entsteht leicht Verwirrung. Vgl. Didaktogene Lernschwierigkeiten "elektrische Energie"

1. Eindeutig ist elektrische Energie im Zusammenhang mit der Elektrostatik. In einem Kondensator ist elektrische Energie gespeichert gemäß der Energiedichte ρ = 1/2 ED. Sie ist über das Volumen des Dielektrikums zu integrieren. Damit ist klar, dass nach dieser Beschreibung die elektrische Energie im Feld zwischen den Kondensatorplatten gespeichert ist. Eine andere gleichwertige Beschreibungsweise besteht hier darin, die Energie als potenzielle Energie in den getrennten Ladungen gespeichert zu denken. Dann gilt: Wel = 1/2 Q·U, wenn Q die Ladung ist, die im Kondensator bei der Spannung U gespeichert ist. In diesem - elektrostatischen - Fall sind beide Beschreibungsweisen gleichwertig. Ob die Energie eher in den Ladungen oder im Feld anzusiedeln ist, ist mehr eine Frage der Sprechweise. Man sagt, eine Ladung besitzt potenzielle Energie und meint damit die Energie, die im elektrischen (Potenzial-)Feld zwischen den Ladungen gespeichert ist, genauso wie man von einem angehobenen Körper sagt, er besitze potenzielle Energie (der Lage), obwohl man damit die im Gravitationsfeld zwischen den Ladungen gespeicherte potenzielle Energie meint.


2. Schwieriger ist die Situation dann, wenn ein elektrisches und ein magnetisches Feld gemeinsam vorliegen. Die Energiedichte ist dann (im Fall von Vakuum) ρ = 1/2 E·D + 1/2 B·H und die Energiestromdichte S = 1/µ0 E x B (Poynting-Vektor), ein Vektor, der auch proportional ist zum Impulsdichtevektor g = 1/c2 E x B. Der Energiestromvektor S ist nicht eindeutig. Aus der Herleitung ergibt sich, dass man zu S jeden Vektor a mit div a = 0 hinzu addieren könnte ohne die messbaren Energieverhältnisse zu ändern.  

Im Fall von elektrischen Strömen ist die elektrische Energie nach Ansicht der Physiker (und Elektroingenieure) dort enthalten, wo ein elektrisches Feld vorliegt, gemäß ρ = 1/2 E·D, analog die magnetische Energie.  Bei der folgenden Diskussion stelle ich mir immer als typisches Beispiel eine Doppelleitung oder Koaxialleitung vor, die zu einem "Verbraucher" führt, einem Widerstand etwa. Die Energie strömt gemäß des Energiestromvektors S - überwiegend außerhalb der Leiter - im Raum um die Leiter zu Verbrauchern hin, wo sie in andere Energieformen umgewandelt wird. Insgesamt wird also gemäß S mittels stromdurchflossener Leiter elektromagnetische Energie transportiert, die am Ort des "Verbrauchers" Strom-Arbeit verrichtet. Mit dem Energiestromvektor S kann man mühelos (aber außerhalb der Schulphysik) z.B. den Energietransport durch eine Doppelleitung zu einem Energieverbraucher, einem Widerstand, auch bei Wechselstrom erklären. Bei beiden Stromrichtungen fließt danach die Energie eindeutig vom E-Werk zum Energieverbraucher hin, vor allem durch den die Leiter umgebenden Raum. Ohne S hätte man Mühe den Energietransport aus dem E-Werk heraus zu erklären, wenn man weiß, dass sich Elektronen höchstens in atomaren Distanzen im Rhythmus der Netzfrequenz hin und her bewegen, so dass kaum ein Elektron je das E-Werk erreicht. Auch wird es mit S evident, dass ohne angeschlossenen Verbraucher kein Energietransport stattfindet, vermeintlich "obwohl das E-Werk weiterhin elektrische Energie produziert".

Weil allerdings der Energiestromvektor, kritiklos angewendet, manchmal zu kuriosen Aussagen führt, gibt es Versuche, S mit Hilfe eines divergenzfreien Vektors a so umzudefinieren, dass die Energie durch den Leiter strömt und nicht in seiner Umgebung. Jedoch ist die Form des Impulsdichtevektors g relativistisch gefordert, was manchmal als Bestätigung gesehen wird, dass auch der Energiestromvektor die weitgehend gleichlautende Form hat. (Vgl. Internet-Beitrag von Backhaus: Der Energietransport durch elektrische Ströme und elektromagnetische Felder in verschiedenen Darstellungen. Ein Beispiel für das Zusammenspiel zwischen Erfahrung und Konvention bei der physikalischen Begriffsbildung, Udo Backhaus, Fachbereich Physik der Universität Osnabrück)


3. In der Umgangssprache ist das aber ganz anders: Hier wird als elektrische Energie die "Energie, die das E-Werk liefert" bezeichnet, mit der dann Strom-Arbeit verrichtet werden kann. Nach dieser Auffassung ist Energie gar keine irgendwo oder in irgendetwas gespeicherte Energie, sondern mit einem elektrischen Strom verbundene Arbeit, die im "Verbraucher" verrichtet wird. Nur für sie - die vom "Verbraucher" verrichtete Arbeit - muss am Monatsende gezahlt werden.

Kritisch wird die Begriffsbildung dann, wenn kein Verbraucher angeschlossen ist. Nach dem Poynting-Vektor strömt keine elektromagnetische Energie auf Dauer irgendwo hin, im Falle einer Gleichspannungsquelle ist die elektromagnetische Energie dann rein elektr(ostat)ische Energie zwischen den unverbundenen Leitern. Elektrische Energie im physikalischen Sinn ist im Raum verteilt, aber sie bewirkt nichts. Die Strom-Arbeit dagegen verschwindet ohne Stromfluss. Das ist eine paradoxe Situation: Schließt man einen Verbraucher an, dann liefert das E-Werk elektrische Energie (im Sinne von Strom-Arbeit). Ist kein Verbraucher angeschlossen, wird auch keine elektrische Energie geliefert. Was geschieht dann mit der überschüssigen elektrischen Energie, die das E-Werk dann vermeintlich immer noch produziert? Der Leser kennt die müßige Diskussion über die angeblichen Überkapazitäten der deutschen Energiekraftwerke bzw. den Unterschied zwischen installierter Leistung und tatsächlicher Leistung. Ob elektrische Energie/Strom-Arbeit geliefert wird, hängt vom E-Werk wie vom Verbraucher ab.

Fasst man den Begriff "elektrische Energie" umgangssprachlich als Strom-Arbeit auf, dann gilt für die beim Transport der Ladung ΔQ von einem Punkt des Stromkreises zu einem anderen verrichtete Arbeit gemäß der offiziellen Definition der Spannung U (auch nach DIN 1324)  ΔW = U·ΔQ, wobei U die Spannung "zwischen" den beiden Punkten ist (das Vorzeichen von ΔW und U ist mit dieser Sprechweise offen gelassen). Diese Beziehung ist unabhängig davon richtig, ob ein Potenzialfeld vorliegt (wie in der Elektrostatik) oder nicht, wie etwa beim stationären Strom oder - wichtiger - bei der Induktion. Die Beziehung ähnelt einer entsprechenden in der Elektrostatik beim Vorliegen eines Potenzials, wobei U die unveränderte Potenzialdifferenz ist, die beim Transport der Ladung ΔQ überbrückt wird, und ΔW die Änderung der dabei in ihr gespeicherten potenziellen Energie. Sie gilt natürlich nicht, wenn ΔQ die Potenzialdifferenz erst aufbaut oder abbaut. Beim geladenen Kondensator gilt ja in diesem Fall  ΔW = 1/2·U·ΔQ , wenn ΔQ die Gesamtladung ist, die im Kondensator gespeichert ist. Um diesen Fall auszuschließen, ist in der Elektrodynamik in diesem Zusammenhang immer nur von einer (infinitesimalen) Probeladung ΔQ die Rede.

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elektrische Energie im Sinn von  Strom-Arbeit

elektrische Energie im physikalisch/technischen Sinn

Potenzielle Energie einer Ladung     (eines elektrischen Feldes)

Anwendungsbereich

überall, wo Ströme Arbeit verrichten Elektrostatik; überall, wo elektrische Energie Teil der elektromagnetischen Energie ist nur Elektrostatik

Wer besitzt die Energie? Wo befindet sich diese Energie?

sinnlose Fragen, da die Arbeit erst im "Verbraucher" verrichtet wird, und weil konzeptgemäß gerade offen gelassen wird, wie die Arbeit dorthin kommt elektrisches Feld E; falls vorhanden (in der Elektrostatik): Potenzialfeld bzw. Ladungen im Potenzialfeld (zwei äquivalente Sprechweisen) Potenzialfeld bzw. Ladungen im Potenzialfeld (zwei äquivalente Sprechweisen), also nur in der Elektrostatik

Speicherfähig?

nein prinzipiell ja mittels getrennter Ladungen und mittels Strömen; unbefriedigend in technischem Maßstab prinzipiell ja mittels getrennter Ladungen; unbefriedigend in technischem Maßstab

Unter welcher Bedingung vorhanden?

Nur, wenn beim Verbraucher Strom-Arbeit verrichtet wird, also, wenn er stromdurchflossen ist. Immer dann, wenn ein elektrisches Feld vorliegt Nur in einem elektrischen Potenzialfeld.

Nur dann kann nämlich wegen der Wegunabhängigkeit jedem Punkt im Raum eindeutig ein Potenzial und jeder Ladung dort eindeutig eine potenzielle Energie zugeordnet werden.

Man hätte das auch mit Kräften formulieren können: Nur bei Vorhandensein von konservativen Kräften entsteht aus Arbeit potenzielle Energie. Nicht konservative Kräfte sind z.B. Reibungskräfte oder die chemischen Kräfte bei der Ladungstrennung in einem galvanischen Element, oder auch die Lorentz-Kraft, z.B. bei einem Hall-Generator.

Gültigkeit von
ΔW = U
·ΔQ

für Strom-Arbeit ΔW richtig beim Transport einer beliebigen Ladung ΔQ zwischen zwei Punkten, zwischen denen eine feste Spannung U herrscht.

U kann dabei eine Potenzialdifferenz sein, wie in der Elektrostatik, oder eine Ringspannung wie z.B. bei der Induktion (dann fallen die beiden Punkte zusammen)

falls Potenzialfeld vorhanden (Elektrostatik):

Eine Probe-Ladung ΔQ (sehr kleine Ladung, so dass das Feld durch den Transport nicht beeinflusst wird) ändert ihre potenzielle Energie ΔW bei Verschiebung zwischen zwei Punkten mit der Potenzialdifferenz U in einem vorgegebenen Potenzialfeld

In allgemeineren Fällen (z.B.  Transport stationärer Ströme durch Doppelleitung zum Verbraucher hin) ist die Formel nicht anwendbar.

falls Potenzialfeld vorhanden (Elektrostatik):

Eine Probe-Ladung ΔQ (sehr kleine Ladung, so dass das Feld durch ihren Transport nicht beeinflusst wird) ändert ihre potenzielle Energie ΔW = U·ΔQ bei Verschiebung zwischen zwei Punkten mit der Potenzialdifferenz U in einem vorgegebenen Potenzialfeld

Die Beziehung gilt i.A. nicht bei makroskopischen Ladungen. Z.B. ist die potenzielle Energie eines geladenen Kondensators &W = 1/2 ·U·ΔQ, wenn ΔQ die Gesamtladung auf dem Kondensator.

Energieumwandlungen

aus Strom-Arbeit entstehen im "Verbraucher" andere Energieformen das elektrische Feld, sei es nun ein Potenzialfeld (Elektrostatik) oder z.B. ein Wirbelfeld (z.B. bei der Induktion oder bei stationären Strömen), kann Arbeit verrichten das elektrische Potenzialfeld (Elektrostatik) kann Arbeit verrichten, wenn sich die potenzielle Energie ändert

Potenzialdifferenz erforderlich für
ΔW = U·ΔQ?

Nein, funktioniert auch z.B. bei der Induktion oder bei stationären Strömen In der Elektrostatik ja; sonst ja nicht anwendbar ja, also - außerhalb der Elektrostatik  - nicht anwendbar bei der Induktion und stationären Strömen

Konzeptidee

"Elektrische Energie" wird nur dort verwendet, wo sie genutzt wird, beim Verbraucher.

Indem völlig unbeachtet gelassen wird, wie die Energie dorthin gekommen ist, werden viele Verständnisschwierigkeiten vermieden.

Das Konzept der Strom-Arbeit fügt sich nahtlos in die Definition der Spannung nach DIN 1324 über die Verschiebungsarbeit ein.

Entstehung und Transport der elektrischen Energie nehmen eine wichtige Stellung ein: keine leichten Themen.

Korrekte alternative Formulierungen und schwierige Grundsatzfragen könnten zu schwierigen Diskussionen führen.

Die verschiedenen möglichen Situationen könnten Einführung unterschiedlicher Spannungsbegriffe (Potenzialdifferenz und Ringspannung und Spannungsabfall) nahelegen

Sowohl "Träger" der Energie wie Spannungsbegriff (als Potenzialdifferenz) weitgehend eindeutig zu verstehen.

Nur in der Elektrostatik problemlos einsetzbar.


4. Bayerische Schulbuchautoren müssen aber einer sehr interpretationsbedürftigen Forderung des neuen bayerischen G8-Lehrplans gerecht werden. Dort heißt es für die 8. Klasse mehr oder weniger klar: "Zusammenhang zwischen Spannung und potentieller Energie der frei beweglichen Ladungen" und zuvor "Energiebetrachtungen beim einfachen Stromkreis machen den Begriff der elektrischen Spannung verständlicher und helfen den Schülern, die Fehlvorstellung vom "Stromverbrauch" zu überwinden." Ist hier mit Energie etwa Strom-Arbeit gemeint? Aber nein, es ist ja von potenzieller Energie die Rede, also einer echten Energie, nicht nur einer Austauschform von Energie!?  Und die erwähnte Fehlvorstellung könnte man doch ganz einfach überwinden, wenn man die Schüler darauf hinweisen würde, dass hier leider ein sprachlicher Missgriff vorliegt, dass "Stromverbrauch" eigentlich "Energieverbrauch" im Sinne von Verbrauch elektrischer Energie genannt werden müsste: es liegt gar kein physikalisches, sondern ein rein sprachliches Problem vor! Welche Erkenntnis könnten "Energiebetrachtungen" zusätzlich noch vermitteln? Und außerhalb der Elektrostatik, bei stationären Strömen, würde eine potenzielle Energie keinerlei Rolle spielen, selbst wenn es sie gäbe, weil sie eben bei den energetischen Vorgängen beim Stromfluss vollständig herausfällt.

Es ist interessant, wie das Problem der Vermengung zweier verschiedener Konzepte durch den Lehrplan im Buch Impulse 8 vom Klett-Verlag gelöst wird: Dort wird zunächst in einem unabhängigen Kapitel "Spannung und potenzielle Energie" (S. 104) ein Fall behandelt, wo es einen solchen Zusammenhang (zwischen Spannung und potenzieller Energie) tatsächlich gibt, nämlich in der Elektrostatik beim Beispiel eines geladenen Kondensators: "Die potenzielle Energie einer Ladung wird durch die Spannung beschrieben"- für die Elektrostatik akzeptabel. Diplomatisch wird nicht genauer festgelegt, von welcher Ladung auf dem Kondensator die Rede ist. Hat nicht die erste Ladung ΔQ, die auf den Kondensator gepumpt wird, eine andere potenzielle Energie als die letzte? (Soll man die Ladungen bzgl. der potenziellen Energie hier überhaupt unterscheiden? Hat nicht der Kondensator hier potenzielle Energie?) Und genauso diplomatisch heißt es zuvor,  aber gar nicht in das Kapitel der elektrostatischen Kondensatorenergie passend: "(1) Die elektrische Energie hängt also nicht nur von der bewegten Ladung bzw. der Stromstärke, sondern auch von ihrer potenziellen Energie ab. (2) Die elektrische Spannung ist ein Maß für die potenzielle Energie der Ladung und ein Kennzeichen der elektrischen Quelle ." Satz (2) gilt irgendwie im Fall der Elektrostatik, wenn der physikalische Begriff der elektrischen Energie verwendet wird. Er gilt z.B. nicht bei der Induktion, weil dort die Ladungen keine potenzielle Energie haben, die mit der Induktionsspannung zusammenhängen könnte, und - weniger wichtig - beim stationären Strom. Der erste Teil von Satz (1) bezieht sich offenbar auf den umgangssprachlichen Begriff der elektrischen Energie, also auf Strom-Arbeit. Diese ist nirgends lokalisiert, sondern entsteht (wird verrichtet) erst im "Verbraucher", wenn ein Strom durch ihn fließt. Dazu passt dann der zweite Teil von Satz (1) gar nicht. Außerdem: Welche potenzielle Energie mag nur ein "frei bewegliches" Elektron in einem geschlossenen Stromkreis nahe des negativen Pols bei einer Monozelle haben, etwa 1,5 eV? Weil jedes Atom im Metall ca. ein  frei bewegliches Leitungselektron zur Verfügung stellt, könnte man die Energie beliebig vermehren, wenn man den negativen Pol nur mit einem genügend großen Metallstück verbinden würde, da ja angeblich alle frei beweglichen Ladungen die gleiche potenzielle Energie haben sollen, nimmt man die Lehrplanformulierung wörtlich. Das Energieproblem der Menschheit wäre gelöst! Wer sich das ausgedacht hat, hätte wahrlich den Nobelpreis verdient, wenn er recht hätte! Und wie groß sollte der Anteil der elektrischen Energie sein, der von der Stromstärke abhängt und den die bewegte Ladung zusätzlich zur potenziellen Energie haben soll, wie im ersten Teil von Satz (1) behauptet wird?

Nachdem der Autor so mit Diplomatie versuchte, den Anforderungen des Lehrplans gerecht zu werden, macht er im nächsten Kapitel korrekte Physik, diesmal aber eindeutig mit der elektrischen Energie als Strom-Arbeit. Weil ΔE bei ihm elektrische Energie heißt, aber Strom-Arbeit ΔW ist, sind auch die im Buch folgenden quantitativen Beziehungen korrekt.


5. Ein brauchbares Spannungsmodell ?

Auch im Buch Ikarus, Natur und Technik, Physik 7 vom Oldenbourg-Verlag (1. Auflage 2005) für die 7. Klasse fühlen sich die Autoren offenbar verpflichtet, einen Zusammenhang zwischen potenzieller Energie und Spannung zu sehen. Dementsprechend wird versucht, den Schülern einen Spannungsbegriff plausibel zu machen, der - zunächst noch unausgesprochen - etwas mit potenzieller Energie zu tun hat. Dazu wird ihnen auf S. 68 ein spezielles Stromkreis-Modell zeichnerisch vorgestellt. In einem Brain-Teaser á la Escher sehen die Schüler ein Gewässer, das durch ein (antriebsloses?) Förderband zu einem Kreis geschlossen wird. Kinder in Schwimmringen werden durch das Förderband "nach oben" gefahren, gleiten dann auf dem Gewässer "nach unten", wobei sie an "Inseln" stoßen, bei denen es "heiß" hergeht, und werden wieder hoch befördert. Auf S. 86 werden dann zwei solche Escher-Bahnen nebeneinander gestellt mit einem größeren Höhenunterschied bei der einen. "Die Spannung wird in diesem Modell durch den Höhenunterschied des Förderbands dargestellt." Und: "Bei einem größeren Höhenunterschied sind die Kinder schneller unterwegs, ... ".

Nachdem es mir halbwegs gelang, meinen Kopf mit der Paradoxie der Escher-Bahn zu versöhnen, schien mir das Beispiel eine Zeitlang sogar didaktisch sinnvoll. Das entspricht doch der Erfahrung der Schüler am Skilift, dachte ich. Je weiter sie der Lift den Hang hoch transportiert, desto schneller kommen sie unten wieder an; das weiß doch jeder. Aber dann braucht der Skifahrer doch auch länger für die in der Regel längere Abfahrtsstrecke und die "Stromstärke" wird geringer? Aber nein, im Text wird der abgebrochene Satz ja fortgesetzt: ".... schneller unterwegs, wenn der Weg sonst gleich lang bleibt." Na, das ist nicht leicht zu realisieren und entspricht nun sicher nicht der Erfahrung der Schüler. Aber na ja, vielleicht denken die Schüler auch schon - intensiv physikalisch geschult durch die vorausgehende Optik - "gleicher Weg, größere Geschwindigkeit, also kürzere Abfahrtszeit, also mehr Abfahrten pro Tag". Aber dann erinnerte ich mich an meine Erfahrungen am Lift: Fast immer war es so, dass ich mich in die Warteschlange am Talende vom Lift einreihen musste, eindeutiges Zeichen dafür, dass die Anzahl der möglichen Abfahrten pro Tag gemittelt über alle Skiläufer (also die "Stromstärke") in der Regel durch die Förderkapazität des Lifts bestimmt wurde. Gibt es also außer der Höhendifferenz/Spannung noch eine andere Bestimmungsgröße einer Stromquelle, die analog zur Förderkapazität effektiver die Stromstärke im Stromkreis bestimmt als die Höhendifferenz/Spannung? Und wozu werden die Inseln/Metall"atome" für das Verständnis benötigt? Nur dass die Kinder dort abgebremst werden und damit es dort "heiß" zugeht? Und was entspricht denn im elektrischen Stromkreis dem ebenfalls fließenden Wasser? Muss das nicht auch wieder hochgepumpt werden? Und wenn es schon so ist, dass die Förderkapazität die Stromstärke bestimmt, würde sich dann irgendetwas ändern, wenn die ganze Bahn in der Ebene aufgebaut wäre? Würden dann nicht die das Förderband verlassenden Kinder die anderen vor sich her drücken, bis diese wieder auf das Förderband gerieten (genügend viele Kinder vorausgesetzt)? Ist das nicht bei einer Pumpe in einem geschlossenen Wasserkreislauf  gerade so? Da weiß man doch, dass Höhenunterschiede keinerlei Rolle spielen, weil - wie wir Lehrer wissen - die Höhenenergie des gesamten Stromkreises immer unverändert ist! Aber halt, die Schüler haben ja bisher an keiner Stelle erfahren, dass die Anzahl der Abfahrten pro Tag ein Maß für die Stromstärke sei soll! Die Bemerkung auf S. 67 unten könnten sie dagegen zu der Meinung verführen, dass es auf die Bewegungsgeschwindigkeit der Elektronen gar nicht ankommt, sondern nur auf die Lichtgeschwindigkeit. (Wie soll das eigentlich funktionieren mit rein mechanischen Stößen: Die Elektronen bewegen sich danach sehr langsam bis zum Stoß mit dem nächsten Nachbarn, dieser entsprechend, aber insgesamt wird die Information mit Lichtgeschwindigkeit transportiert?) Sonst heißt es nur auf S. 86 beim Spannungsmodell kryptisch und ohne Bezug auf irgendwelche Vorinformationen, dass "schneller unterwegs" in "größere Stromstärke" übersetzt werden muss.

Nein, so darf man meines Erachtens einen relativ einfachen Sachverhalt nicht komplizieren und verschleiern. So darf man nicht den unterrichtenden Lehrern Mühen aufhalsen, wenn sie die Sachverhalte wieder zurechtbiegen müssen.

Auch die sonstige Argumentation ist aufschlussreich:

Zur Stromstärke:

Irgendwo auf S. 66 hat der Schüler erfahren: "Elektrischer Strom ist die Bewegung von elektrischen Ladungen". Auf S. 83 geht es weiter mit der Strommessung. Es geht rein technisch um die Schaltung des Amperemeters, um Größenunterschiede der Stromstärke, um die Schmelzsicherung, und dann unvermittelt um die "Festlegung: Zur Beschreibung des elektrischen Stroms führt man als physikalische Größe die Stromstärke ein. Man kennzeichnet sie mit dem Formelbuchstaben I." Nach Größenumrechnungen folgt ein Hinweis, dass 1 A definiert wird durch eine bestimmte magnetische Wirkung. Es folgen Beispiele, auch zur Gefährdung von Menschen. Wissen jetzt die Schüler etwa, was Stromstärke ist? Sollen die Schüler nach Meinung der Autoren etwa nichts verstehen? Sollen sie sich nur irgendwelche Fakten merken? Sollen sie nicht verstehen, dass Stromstärke ein Maß für die Anzahl der vorbeifließenden Ladungen pro Zeiteinheit ist? Dann könnten sie vielleicht auch verstehen, dass man den Stromkreis unterbrechen muss um ein Amperemeter einzubauen, weil ja der fließende Strom durch das Messgerät gehen muss. Sie könnten auch verstehen, dass im unverzweigten Stromkreis überall die gleiche Stromstärke fließen muss, weil die Ladungen ja irgendwohin gehen müssen. Und sie könnten verstehen, dass "Strom" nicht verbraucht werden kann, dass aber doch etwas Richtiges gemeint ist, weil in der Umgangssprache mit Strom etwas anderes gemeint ist, nämlich Strom-Arbeit/Energie; sie kann - in einem gewissen Sinn - wirklich verbraucht werden. Sie könnten dann auch verstehen, warum ein Kurzschluss so gefährlich ist. Soll nichts hängen bleiben als bewegte Ladung, die Buchstaben I und A, unterschiedliche Werte? Aber auf S. 176, beim Grundwissen, steht es dann doch: "I ein Maß dafür, wie viele Ladungen ... ". Stellt sich der Autor vor, dass das zwar nicht durchgenommen, aber von den Schülern doch als Grundwissen erkannt wird?

Zur Spannung erfahren die Schüler Folgendes (S. 85):

Spannungsbeispiele, dann unvermittelt die "Festlegung: Batterien,   ... haben eine Eigenschaft, die die Stromstärke im elektrischen Stromkreis beeinflusst. Diese Eigenschaft heißt elektrische Spannung .... . Man bezeichnet die elektrische Spannung mit dem Formelbuchstaben U."

Wissen die Schüler jetzt, was eine Spannung ist? Na ja, die Schüler denken in der Regel nicht an Innenwiderstand und Temperatur, die ja auch Eigenschaften der "Elektrizitätsquelle" sind und die Stromstärke beeinflussen; aber vielleicht hat ihr Vater doch schon mal die Erfahrung gemacht, dass eine Autobatterie im Winter in die Knie gehen kann? Aber es geht ja noch weiter: "Die Spannung ist bei derjenigen Elektrizitätsquelle höher, die beim gleichen Elektrogerät eine höhere Stromstärke hervorruft."  Richtig. Dann geht es technisch um die Einheit und Umrechnungen, mehr nicht. Dass die hier betrachtete Spannung eine Eigenschaft der Stromquelle allein ist, ist ein Gesichtspunkt, der nicht genügend klar herausgestellt werden kann. Formal haben die Autoren das gesagt. Wird es auch bei den Lesern so ankommen?

Beim Grundwissen S. 176 wird dann noch nachgeschoben "Die Spannung U ist die Ursache für den elektrischen Strom." Eine Aussage, die genauso richtig oder falsch ist wie die Aussage, dass eine Kraft die Ursache für eine Bewegung sein soll; man denke nur an Supraleiter oder die physikalischen Situationen eines Stroms gegen eine Gegenspannung. Aber der im Buch nachfolgende Satz ist wieder richtig.

Ich meine, dass es sehr wichtig ist, Schüler in der 7. Klasse mit Physik in Kontakt zu bringen. Dabei kann man Begriffe m.E. notfalls auch vorläufig einführen, so dass sie für die Adressaten handhabbar werden (später muss das dann richtig gestellt werden). Aber immer sollten wir Lehrer unsere Aufgabe im Auge behalten, den Schülern ein "Verständnis" (im Sinne von "Verstehen") beizubringen, das dann altersgemäß reduziert sein muss. Ihnen von vornherein nahe zu bringen, dass man Physik nicht verstehen kann, sondern nur auswendig lernen muss, halte ich für verfehlt.

Die Autoren stellen dann im grundsätzlich sehr löblichen Anregungsteil auch das Wasserstrommodell für die Spannung vor (S.91). Welche Reaktion wird wohl erwartet, wenn die Schüler plötzlich auf den Begriff "Druck" stoßen? Sollen sie ihre "Präkonzepte" einsetzen? Und das gleich noch mit der Forderung, dass "am Ausgang der Pumpe ein höherer Druck herrschen muss (!) als am Eingang". Lässt sich das etwa anders einrichten? Dann gleich die erste Frage (a): "Was würde geschehen, wenn am Ausgang und am Eingang der Pumpe der gleiche Druck herrschen würde?" Als Schüler würde ich mir denken, dass ich zwar nicht weiß, was Druck ist, und auch nicht wie man die Druckgleichheit einrichten könnte, aber vielleicht würde dann die Pumpe kaputt gehen oder stehen bleiben oder es würde eine Sirene heulen? Aber Schüler, die dieses Hindernis überwunden haben, würden dann - nach Meinung der Autoren - schnell den unbekannten Begriff der Spannung mit dem ebenfalls unbekannten Druckbegriff in Beziehung setzen können (?) und hätten dann wieder einmal gelernt, dass man in der Physik angeblich nichts verstehen kann, aber sich halt dazu trimmen muss, die richtigen Vokabeln miteinander zu kombinieren.

Dabei ist das Wesentliche des Vorgangs doch leicht verständlich (wenn man nicht zu sehr ins Detail geht): alle Wirkung geht von der Pumpe aus; sie verrichtet die Arbeit, die man anderswo, im "Verbraucher" nutzt. Eine ideale Flüssigkeit ist nur das Transportmedium, sie fällt aus allen Vorgängen heraus, was auch immer mit ihr geschieht, ob sie gedrückt wird oder nicht, über Berge geführt wird oder nicht. Und ganz entsprechend ist es bei einem stationären elektrischen Strom: Ob nun die fließenden Ladungen eine potenzielle Energie haben oder nicht, sie würde aus dem Geschehen beim stationären Strom ganz herausfallen (das folgt aus der Wegunabhängigkeit des Potenzials). Die Stromquelle treibt immer den Strom im ganzen Stromkreis an. Wozu sollte man dann noch einen Druck ins Spiel bringen?