SG126a
Verschränkte Systeme ©
H. Hübel Würzburg 2023
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Impres-sum |
Bei bestimmten Prozessen können gleichzeitig zwei Teilchen
- Photonen, Elektronen oder andere Quantenteilchen - mit individuellen
Eigenschaften entstehen. Jedes Teilchen für sich genügt der
Quantentheorie und lässt sich z.B. durch eine Schrödinger-Gleichung
beschreiben. Das ist nichts Besonderes. Die Teilchen befinden sich dann
in Einteilchen-Zuständen.
Es könnte aber in anderen Fällen ein besonderer
Zweiteilchen-Zustand entstehen. Er heißt so, weil sich bei Messung der
Teilchenzahl immer 2 ergibt. Er wird oft Teilchenzwilling
genannt. Er ist ein Beispiel eines verschränkten Zustands bzw. verschränkten
Systems *). Das
Besondere ist, dass die beitragenden Teilchen ohne eine Messung keine
Eigenschaften haben.
Teilchen mit individuellen Eigenschaften ("individuelle
Teilchen") entstehen erst, wenn im Teilchenzwilling
Einteilchen-Eigenschaften gemessen werden.
Bei einem Elektronenzwilling entstehen durch die Messung zwei Elektronen mit Eigenschaften, die eng miteinander verbunden sind. Z.B. könnten in einer Messung an einem Elektronenzwilling zwei Elektronen entstehen, die stets entgegengesetzte Impulse, also auch entgegengesetzte Richtungen, und/oder stets entgegengesetzte Drehimpulse (Spins) haben. Man sagt, die Teilchen sind "korreliert" (frei übersetzt: "aufeinander bezogen"). Abgesehen davon sind die Richtungen und Drehimpulse, die man bei einer Messung findet, dem Zufall unterworfen. Bei anderen Prozessen können bei einer Messung auch Teilchen mit gleich gerichteten Drehimpulsen entstehen. Durch die Messung wird der verschränkte Zustand zerstört.
In einer genaueren Analyse zeigt z.B. der Nobelpreisträger Anton Zeilinger, dass die beiden Teilchen ohne eine Messung keine bestimmten Eigenschaften haben. Die in einer Messung entstehenden Eigenschaften sind offenbar nicht Eigenschaften des verschränkten Systems: Vor der Messung von Einteilchen-Eigenschaften liegt ein Teilchenzwilling oder ein verschränkter Zustand vor, und eben keine zwei individuellen Teilchen. Nach der Messung von Einteilchen-Eigenschaften haben die beiden Teilchen individuelle, aber korrelierten Eigenschaften.
Hat man einen Prozess, bei dem ein Photonenzwilling entsteht, so könnten die zwei Photonen - wenn sie gemessen sind - in gleicher Weise z.B. stets entgegengesetzte Impulse, also auch entgegengesetzte Richtungen, und/oder entgegengesetzte Drehimpulse (Polarisationen) haben, bei anderen Prozessen auch gleichgerichtete.
Das Phänomen soll noch etwas genauer beschrieben werden:
Abb. 1: Teilchen aus einem Teilchenzwilling, die nach
einer Messung bzgl. Impuls (also auch Richtung) und Drehimpuls
korreliert sind. Abgesehen davon sind Impuls und Drehimpuls
dem Zufall unterworfen. Das ist in der Zeichnung durch das
Ergebnis zweier Messungen angedeutet, die jeweils von der
gleichen Situation ausgehen.
Abb. 2: Abgesehen von den Folgen der Verschränkung
sind Impulse (Richtungen) und Drehimpulse (Polarisationen
bzw. Spins) nach einer Messung zufällig.
Betrachten wir jetzt
nur den Drehimpuls (Spin bzw. Polarisation), in Abb. 1
charakterisiert durch den blauen Pfeil. Bei derselben Quelle
und auch unter sonst gleichen Umständen finden wir nach
wiederholten Messungen in der Regel keine gleichen
Messwerte, sondern zufällig streuende,
aber immer so, dass der Gesamtdrehimpuls 0 ist.
Ganz entsprechend finden wir beide Teilchen unter zufälligen
Richtungen (Abb. 2), aber immer so, dass beide Teilchen
entgegengesetzt sind und den Gesamtimpuls 0 ergeben.
Das gilt sogar, wenn die Messungen an den beiden Teilchen
beliebig weit voneinander entfernt erfolgen, so weit sogar
und so schnell, dass kein Lichtstrahl genügend Zeit hätte,
Richtung und Drehimpuls eines Teilchens an das andere
mitzuteilen.
Wenn an dem einen Teilchen ein aufwärts gerichteter
Drehimpuls gemessen wird, ist instantan (ohne Zeitverzug)
klar, dass das andere Teilchen den dazu passenden Drehimpuls
hat. Findet man das eine Teilchen unter einer bestimmten
Richtung, ist instantan klar, dass das andere Teilchen unter
entgegengesetzter Richtung gefunden wird. Man sagt, die
Messungen seien "korreliert" (aufeinander bezogen).
Man liest häufig, dass diese Gemeinsamkeit selbst dann
auftritt, "wenn die beiden Teilchen beliebig weit
voneinander entfernt sind", also z.B. an entgegengesetzten
Rändern unseres Weltalls, so dass sie auf keinen Fall durch
eine Wechselwirkung voneinander erfahren können.
Aber eine solche Sprechweise ist irreführend, weil ja
die Teilchen ohne eine Messung keinen Ort haben. Die
Aussage bezieht sich also auf die hypothetischen Orte der
Messgeräte. Ebenso irreführend ist der Hinweis auf eine
angebliche "spukhafte Fernwirkung", die es offenbar
nicht gibt.
Die Vermutung ist also falsch, dass die beiden Teilchen bereits im verschränkten Zustand individuelle, aber korrelierte Eigenschaften haben.
Aber gesichert ist, dass während des gesamten Erzeugungsprozesses des Teilchenzwillings und auch nach der Messung von Einteilchen-Eigenschaften Erhaltungssätze weiterhin gültig geblieben sind, also in unserem Beispiel der Impulserhaltungssatz und der Drehimpulserhaltungssatz. Der Teilchenzwilling hatte im Beispiel bereits den Gesamtimpuls 0 und den Gesamtdrehimpuls 0, genauso wie die nach der Messung entstandenen Einzelteilchen zusammen. In anderen Fällen spielen andere Erhaltungssätze oder Regeln eine Rolle.
Man musste akzeptieren, dass hier eine neue Eigenschaft von Quantensystemen bzw. ein neuartiges Quantenobjekt beschrieben wird, während Einteilchen-Eigenschaften der beiden Mitglieder des Zwillings erst bei ihrer Messung und damit der Zerlegung des verschränkten Zustands in Einzelteilchen entstehen. So etwas gibt es in deiner Erfahrung und der klassischen Physik nicht:
Verschränkte Zustände (verschränkte Systeme) sind nichtklassische Quantenobjekte, die über die Eigenschaften des Gesamtzustands definiert sind. Nur der Gesamtzustand hat einige wenige Eigenschaften wie Gesamtimpuls oder Gesamtspin. |
Audretsch spricht von einem "Stoff fast ohne Eigenschaften". Für ihn gelten die "Geburtsurkunde verschränkter Systeme" und der "Dreiklang verschränkter Systeme" (beides von mir so genannt).
Deswegen sollte man m.E. nicht von "verschränkten Teilchen" sprechen, weil diese vor einer Messung von Einteilchen-Eigenschaften nicht existieren. Vor der Messung von Einteilchen-Eigenschaften existierte in diesem Zusammenhang aber der "verschränkte Zustand" oder das "verschränkte System".
Die "Geburtsurkunde" legt einige wenige Eigenschaften des Gesamtzustands fest, z.B. den Gesamtspin 0 oder den Gesamtimpuls 0. Sie sind von seiner "Geburt" an über seinen "Tod" hinaus gültig, also auch nach der Zerlegung in Einteilchen-Zustände bei einer Messung von Einteilchen-Eigenschaften. |
Vielfach in Form von Erhaltungssätzen legt die "Geburtsurkunde" die möglichen Kombinationen von Einteilchen-Zuständen nach einer Messung fest. Wenn der Gesamtimpuls des verschränkten Zustands 0 ist, müssen entsprechend der "Geburtsurkunde" auch die Einteilchen-Zustände mit entgegengesetzten Impulsen gemessen werden, ganz gleich unter welchen Impulsrichtungen.
Der "Dreiklang verschränkter Systeme" besagt, dass in vielen Fällen verschränkte Systeme aus Einteilchen-Zuständen entstehen, aber nicht aus einzelnen (individuellen) Teilchen bestehen, jedoch bei einer Messung von Einteilchen-Eigenschaften in Einteilchen-Zustände zerfallen (gemäß der "Geburtsurkunde"). |
*) Ich spreche von "verschränkten Systemen" oder "verschränkten Zuständen" und ungern von "verschränkten Elektronen" oder "verschränkten Photonen", wie das auch üblich ist. Grund ist für mich, dass bei einem Photonenzwilling einzelne Photonen oder bei einem Elektronenzwilling einzelne Elektronen mit individuellen Eigenschaften zufallsgesteuert erst bei einer Messung entstehen.
(Es gibt auch andere verschränkte Zustände, die nicht aus individuellen Teilchen entstehen. Ein Beispiel sind verschränkte Zustände zwischen Spin und Bahndrehimpuls des Elektrons einer Atomhülle, oder, genau genommen, die Atomhülle selbst. Aus meiner Sicht ist das der Grund, weshalb man "Verschränkbarkeit" nicht als eine spezielle Eigenschaft von einzelnen Teilchen ansehen sollte. Es gibt auch verschränkte Zustände, die aus verschiedenartigen Teilchen entstanden, z.B. aus einem Photon und einem Atom. Immer ist es so, dass man nach einer Messung Eigenschaften des einen Teilchen kennt, wenn man die des anderen gemessen hat. Die Eigenschaften des verschränkten Zustands gemäß der Geburtsurkunde müssen eingehalten werden.)
Hinweis: Auf diesen Seiten werden die quantenphysikalischen Begriffe "be-stimmt" und "un-be-stimmt" immer entgegen der Duden-Vorschrift mit Bindestrich geschrieben um jede Verwechslung mit den gleich lautenden umgangssprachlichen Begriffen zu verhindern.
( 2023 )