G25a Geschwindigkeiten bei der Ausbreitung von Wellen |
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Hier geht es um einige Aspekte von Geschwindigkeiten bei der Ausbreitung von Wellen größer oder kleiner als die Vakuumlichtgeschwindigkeit c (oder gleich c): Phasengeschwindigkeit, Gruppengeschwindigkeit, Frontgeschwindigkeit, Signalgeschwindigkeit.
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Solche Geschwindigkeiten sind nichts Besonderes. Es gibt ja schließlich bei der Ausbreitung von klassischen elektromagnetischenWellen mehrere Geschwindigkeiten, die mit der Vakuumlichtgeschwindigkeit c zu vergleichen sind:
Phasengeschwindigkeit ist die Geschwindigkeit, mit der sich ein Punkt mit bestimmter Phase ausbreitet.
Betrachten Sie eine harmonische Welle die sich nach
y(x,t) = A·sin[2·π (x/λ - t/T)] |
längs der x-Achse ausbreitet, wobei T = 1/f die Schwingungsdauer mit der Frequenz f ist. Das Argument des Sinus ist die Phase. Betrachten Sie den Punkt mit der Phase 0, also
Der Punkt mit Phase 0 breitet sich also mit der Phasengeschwindigkeit vp = f·λ in positive x-Richtung aus.
(Sie kennen die Beziehung sicher für elektromagnetische Wellen im Vakuum in der Form c = f·λ )
Streng genommen hat eine Phasengeschwindigkeit nur einen Sinn für eine Welle mit wohldefinierter Phase, die also weder zeitlich noch räumlich begrenzt ist. Mit einer solchen Welle kann man keine Nachrichten oder Signale übertragen, weil die Welle ja an jedem Ort zu jeder Zeit schon vorhanden ist, wenn auch evtl. mit geringster Amplitude ("Omnipräsenz"). Die Phasengeschwindigkeit kann größer, kleiner oder gleich c sein. Modellmäßig kann man sich in einem Festkörper Abweichungen zwischen vp von c so vorstellen: Im Festkörper sind schwingungsfähige Atome oder Moleküle vorhanden. Die einfallende Welle wird absorbiert, die Atome oder Moleküle werden zu Schwingungen angeregt und strahlen ihrerseits eine Welle ab. Je nachdem, ob dabei ein Phasensprung vorwärts oder rückwärts erfolgt, scheint die abgestrahlte Welle schneller oder langsamer durch das Medium zu wandern. Auch Absorption in Medien, besonders bei intensiven Laserpulsen, kann die Phasengeschwindigkeit verändern, die dadurch die Vakuumlichtgeschwindigkeit weit überschreiten kann, ebenso in Wellenleitern. Das ist kein Widerspruch zur Relativitätstheorie, da man keine Nachrichten oder Signale mit der Phasengeschwindigkeit transportieren kann. Für den Brechungsindex n zwischen Vakuum und Medium gilt: n = c/vph. In bestimmten Wellenlängenbereichen kann n < 1 sein (anomale Dispersion). Dann ist vph > c.
Häufig hat man es aber mit Wellenzügen oder Wellenpaketen (Oberbegriff: Wellengruppe) zu tun.
Ein Wellenzug ist ein räumlich begrenzter Ausschnitt aus einer harmonischen Welle mit konstanter Amplitude. Ein Wellenpaket ist eine Überlagerung von harmonischen Wellen, deren Amplituden durch eine einhüllende Kurve von begrenzter Breite bestimmt ist.
Man kann sie sich vorstellen als eine Überlagerung verschiedener unbegrenzter Wellen mit unterschiedlichen Frequenzen bzw. Wellenlängen. Die Amplitude des Wellenpakets wird dann durch eine Einhüllende beschrieben, die für einen bestimmten Zeitpunkt einigermaßen gut um einen bestimmten Ort konzentriert, also lokalisiert ist. Die Gruppengeschwindigkeit vg ist dann definiert als die Geschwindigkeit, mit der sich die Einhüllende ausbreitet. Wenn sich die Welle in einem Medium ausbreitet, bei dem die Phasengeschwindigkeit der verschiedenen Überlagerungskomponenten unabhängig von der Wellenlänge oder Frequenz ist, bleibt das Wellenpaket beieinander und behält seine Form bei. Es kommt nicht zur Dispersion, und die Gruppengeschwindigkeit stimmt mit der Phasengeschwindigkeit überein. In dispergierenden Medien oder auch in Wellenleitern gilt dagegen
Gruppen- und Phasengeschwindigkeit unterscheiden sich dann. Bei anomaler Dispersion können beide größer als c sein. Dann wird häufig aber auch die Form des Wellenpakets verändert: das Wellenpaket läuft auseinander. Beim Durchtritt durch eine dünne Schicht (Potenzialberg) kommt es vor, dass bereits vorauseilende Teile des Wellenpakets zu stehenden Wellen in der Schicht führen. Nachfolgende Teile können dann durch destruktive Interferenz ausgelöscht werden, so dass vor allem die vorauseilenden Teile überleben. Es entsteht ein neues abgeschwächtes Maximum des Pakets, das in Vorwärtsrichtung beschleunigt scheint ("avanciertes Maximum"). Es kommt auch vor, dass vorauseilende Teile des Wellenpakets verlangsamt, nachkommende verschnellert werden, was zu einem "Aufsteilen" der Vorderflanke des Pakets führt. Alle diese Paketverformungen nennt man auch "pulse reshaping".
Ich las einmal eine Veranschaulichung (A. Steinberg) dieses Vorgangs: Das sei wie bei einem langen Zug, von dem an jeder Station ein Waggon hinten abgehängt wird. Dadurch verlagert sich der "Schwerpunkt" des Zugs immer weiter nach vorn. Obwohl der Zug zwischen den Stationen mit konstanter, unveränderter Geschwindigkeit fährt (entsprechend der unveränderten Phasengeschwindigkeit), bewegt sich der "Schwerpunkt" schneller (entsprechend der Gruppengeschwindigkeit). Die Lok kommt fahrplanmäßig an und überträgt die "Nachricht" mit der üblichen (Front-)Geschwindigkeit.
(c) Frontgeschwindigkeit (<= c; evtl. =/= vp, vg)
Frontgeschwindigkeit ist die Geschwindigkeit, mit der sich die Wellenfront ausbreitet. Ein Punkt (Teilchen) liegt auf der Wellenfront, wenn es gerade erstmalig von der Welle erfasst wird. Das ist nun wirklich die Geschwindigkeit, mit der man Signale oder Information transportieren kann. Sie kann sich von Phasengeschwindigkeit und Gruppengeschwindigkeit unterscheiden. Die Relativitätstheorie schließt aus, dass die Frontgeschwindigkeit die Vakuumlichtgeschwindigkeit c überschreitet.
Wiederum gilt diese Definition für die Frontgeschwindigkeit streng nur für räumlich in Ausbreitungsrichtung begrenzte Wellenpakete, also für Wellenpakete, bei denen es in Ausbreitungsrichtung eine Stelle gibt, vor der die Welle noch nicht ist und hinter der die Welle schon ist.
Als Signalgeschwindigkeit wird in der Regel die Gruppengeschwindigkeit definiert. Besser wäre in der klassischen Physik die Definition durch die Frontgeschwindigkeit, besonders in absorbierenden Medien: Die Nachricht ist angekommen, wenn der Empfänger das erste Mal von der Welle erfasst wird.
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Hinweise:
1. Auch in der Quantenphysik lässt sich für (kräfte-)freie Quantenteilchen eine Gruppengeschwindigkeit über die Schrödinger'sche Wellenfunktion definieren. Sie stimmt überein mit der Geschwindigkeit des Erwartungswerts für den Ort eines Quantenteilchens. Der Ort eines Quantenteilchens ist ja in der Regel un-be-stimmt. Ortsmessungen an Quantenteilchen liefern dann in der Regel streuende Messwerte mit einem Erwartungswert, der dem Durchschnittswert bzw. Maximalwert der möglichen Messwerte entspricht.
2. Die Phasengeschwindigkeit vp spielt eine wichtige Rolle bei der Tscherenkov-Strahlung. Ein nichtleitender Körper (eine Flüssigkeit oder ein Kristall) werde von sehr schnellen Teilchen mit einer Geschwindigkeit nahe der Vakuumlichtgeschwindigkeit c durchsetzt, z.B. von Protonen aus einem Teilchenbeschleuniger (z.B. LHC) oder Neutronen aus Brennelementen im Abklingbecken eines Kernkraftwerks.Wenn in dem Körper die Phasengeschwindigkeit vp - wie in der Regel - kleiner als die Vakuumlichtgeschwindigkeit c ist, sind die Teilchen schneller als die Lichtgeschwindigkeit vp (im Körper). Bei Wasser beträgt vp z.B. 2,2·108 m/s statt c = 3·108 m/s. Ähnlich wie eine Bugwelle entsteht, wenn ein Boot schneller als mit der Geschwindigkeit von Wasserwellen fährt, so entsteht hierbei eine elektromagnetische Bugwelle, die im Falle des Abklingbeckens als bläuliches Leuchten erkennbar ist. In diesem Fall ist also die Teilchengeschwindigkeit vT größer als die Lichtgeschwindigkeit im Körper, aber immer noch kleiner als die Vakuumlichtgeschwindigkeit c. Aus dem Öffnungskegel der Tscherenkov-Strahlung wird auf die Teilchengeschwindigkeit vT geschlossen.
( August 2014 )